Im April ist der Monatsrückblick wieder einmal ausgefallen – „zu viel unterwegs“ ist die dazugehörige Ausrede, Entschuldigung. Es tut aber auch mal ganz gut, Zentralasien nur von der Seitenlinie aus zu betrachten – und dann ins Getümmel zurückzukehren.
Kasachstan – Harte Hand gegen Kritiker
In der Märzausgabe des Monatsrückblicks hatte ich bereits erwähnt, dass die Redaktionen von Ratel und Forbes Kasachstan in Almaty am Montag, dem 2. April, Besuch von der Staatsanwaltschaft bekommen hatten. – Insgesamt vier Journalisten waren im Zuge dessen verhaftet worden. Die Journalisten wurden am nächsten Tag frei gelassen, nachdem Computer und Kameras der Redaktionen beschlagnahmt worden waren.
Am 28. Mai nun hat ein Stadtgericht in Almaty die Nutzung verschiedener Domains von Ratel, darunter, ratel.kz, balborsyk.kz, wildratel.com und itau.kz, sowie des Facebook-Accounts von Ratel verboten. Chefredakteur Marat Asipov darf bis auf weiteres keine journalistischen Materialen mehr veröffentlichen.
Asipovs Kollege und früherer Ratel-Mitarbeiter Vadim Boreiko hat das Gerichtsurteil auf seinem Facebook-Account erläutert und „archiviert“, wie er schreibt. Boreiko liefert auch die Erklärung, wer offenbar hinter der Schließung von Ratel steckt.
Wer hat Interesse an Verbot von Ratel?
Grund für die Inhaftierung der Journalisten war eine Verleumdungsklage von Ex-Finanzminister Zeinulla Kakimzhanov gegen Ratel und Forbes Kazakhstan. Im April 2017 waren die beiden Publikationen zur Zahlung einer Strafe in Höhe von 160.000 US-Dollar verurteilt worden, weil sie Kakimzhanov – fälschlicherweise, wie dieser sagt – der Korruption beschuldigt hatten. Weil die Zahlung nicht erfolgt sei und nach wie vor Artikel über Kakimzhanov auf den Webseiten zu finden seien, hatten die Behörden einer erneuten Klage stattgegeben und nun entsprechend reagiert.
Kakimzhanov selbst rechtfertigte sich in einem Facebook-Post – er wolle sich lediglich gegen Verleumdung und Beleidigung schützen. Zudem mutmaßte er, dass hinter einer solch großen Kampagne eine externe Finanzierung stecken müsste. Anders sei die umfassende Arbeit der Journalisten nicht zu erklären.
Vadim Boreiko hat mittlerweile eine ganze Reihe an Facebook-Posts veröffentlicht, in denen er Material, das Ratel veröffentlicht hatte, noch einmal aufarbeitet. Die Serie, erschienen unter dem Titel „Der Klub der Ratel-Freunde“ entwirrt die Beteiligung prominenter Politiker an millionenschweren Investitionsgeschäften und Besitztümern in Kasachstan. Unter anderem geht es um Sauat Mynbayev, Chef des staatlichen Ölkonzerns KazMunaiGaz, den Bürgermeister von Almaty Bauyrzhan Baibek und Informations- und Kommunikationsminister Dauren Abayev.
Sprachloser Informationsminister
Letzterer ist übrigens auch der tragische Held eines kurzen Videos, das von Radio Azattyq veröffentlicht wurde. Abayev, umringt von Reportern, wird gefragt, warum soziale Netzwerke in Kasachstan am Abend regelmäßig blockiert seien (das betrifft vor allem Facebook und Youtube, die ab 21 Uhr Ortszeit Almaty schlapp machen). – Der Minister braucht ein paar Sekunden, ehe er zu einer unbeholfenen Antwort ansetzt – sein Ministerium habe damit nichts zu tun. Entlarvend allerdings ist das Grinsen, anders kann man es leider nicht bezeichnen, das sich in dieser Zeit auf sein Gesicht stiehlt und gegen das er nicht anzukommen scheint.
Gerüchten zufolge sollen damit Online-Auftritte des kasachischen Ex-Bankers und Oppositionärs Mukhtar Ablyazov unterbunden werden. Der, so berichten unter anderem Eurasianet, Reuters und Azattyk, habe aus dem Exil in Frankreich heraus zu landesweiten Protesten in Kasachstan aufgerufen.
Proteste für Freilassung politischer Häftlinge
Einen Tag nach einem Facebook-Post Ablyazovs fanden am 10. Mai in Almaty, Astana und in anderen Städten des Landes Demonstrationen für die Freilassung politischer Häftlinge statt. Dutzende Demonstranten wurden verhaftet – laut Behördenangaben, weil die Demonstrationen nicht angemeldet worden waren.
Ablyazov gilt in Kasachstan als eine Art Staatsfeind, seine Rolle ähnelt der von Fethullah Gülen in der Türkei. Die von Ablyazov gegründete, nicht registrierte Partei Demokratische Wahl Kasachstans DVK war im März als terroristisch eingestuft und verboten worden. Ablyazov hat für Juni und Juli weitere Proteste in Kasachstan angekündigt.
Neue Opposition unglaubwürdig?
Neben Ablyazovs DVK hat sich in Kasachstan eine neue Oppositionsgruppe formiert – Forum Jana Qazaqstan (Forum Neues Kasachstan). Die Mitglieder sind alte Bekannte, Journalisten und Politaktivisten wie Aidos Sarym oder Amirzhan Kossan. Joanna Lillis erläutert in ihrem Stück für Eurasianet die Hintergründe der Bewegung.
So positioniert sich Jana Qazakstan unmissverständlich als kasachisch-nationalistische Kraft und bedient damit eine Klientel, die in Kasachstan an Bedeutung gewinnt. Gleichzeitig zeigt man sich gesprächsbereit für offene Diskussionen mit der Regierung – einer der Gründe, die bei Lillis zu Zweifeln führen, dass es sich bei Jana Qazakstan möglicherweise um eine durch die Regierung gesteuerte Pseudo-Opposition handeln könnte. – Eines der wenigen konkret formulierten Ziele der neuen Bewegung ist es, den Transitionsprozess vom jetzigen Präsidenten Nursultan Nasarbajew an einen möglichen Nachfolger zivilgesellschaftlich zu begleiten.
Nursultan Nasarbajew regiert Kasachstan seit fast 40 Jahren
Vorkehrungen für die Nachfolge
Nasarbajew wird am 6. Juli 78 Jahre alt. Der Elbasy – wie der “Führer der Nation” auf Kasachisch genannt wird – sieht der Tatsache offensichtlich ins Auge, dass er den Übergang des Präsidentenamtes an einen anderen über kurz oder lang nicht aufhalten kann und will zumindest mitsteuern.
Am 31. Mai hat das kasachische Parlament daher ein Gesetz verabschiedet, dass Nasarbajew zusichert, auch nach seinem Rücktritt oder einer Abwahl als Präsident Chef des Sicherheitsrates zu bleiben. Entgegen dem im Jahr 2017 begonnen Reformprozess, der die Macht vom Präsidenten weiter ins Parlament verlagern soll, macht das neue Gesetz gleichzeitig aus dem bisher beratenden Gremium des Sicherheitsrates ein„koordinierendes Verfassungsorgan“.
Nasarbajew regiert das Land, inklusive seiner Zeit als Generalsekretär der Kommunistischen Partei im sowjetischen Kasachstan, seit dem 22. Juni 1989. Seit 1990 ist er Präsident. Bei den nächsten Präsidentenwahlen, die in Kasachstan regulär im Jahr 2020 anstehen, würde er seit 40 Jahren über das Land herrschen und wäre damit einer der langjährigsten Staatsoberhäupter weltweit.
Kirgistan – Öffentliche Proteste nach tödlichem Brautraub
20 Jahre alt wurde Burulai Turdaaly Kyzy, erst kürzlich hatte sie eine medizinische Ausbildung in Bischkek abgeschlossen. Die junge Frau war am 27. Mai in einer Polizeistation von einem 29-jährigen erstochen worden – in Folge eines so genannten Brautraubs.
Der vermeintliche Bräutigam hatte Turdaaly Kyzy bereits Ende April in ihrem Heimatdorf westlich von Bischkek „geraubt“, das heißt, sie überfallen und zu sich nach Hause entführt, um sie zu heiraten. Turdaaly Kyzys Eltern hatten ihre Tochter aber wieder nach Hause geholt – seltene Unterstützung, die längst nicht alle jungen Frauen aus ihrem Elternhaus erhalten, wenn sie Opfer des so genannten Brautraubs werden. Der Täter entführte die junge Frau einen Monat erneut, was ihr Vater sofort der Polizei meldete.
Nachdem die junge Frau und ihr Entführer von der Polizei auf die Wache gebracht worden waren, ließ man sie dort in einem Zimmer allein. Das nutzte der Täter, um Turdaaly Kyzy zu töten und sich anschließend selbst zu verletzen.
Der Vorfall hat in Kirgistan zu einer öffentlichen Diskussion der häufig, aber fälschlich als „Tradition“ bezeichneten Praxis des Brauraubs geführt. In Bischkek gingen hunderte Menschen auf die Straße.
Mittlerweile wurden mehr als 20 Polizisten bestraft – teilweise entlassen, degradiert oder abgemahnt. UN-Organisationen riefen die kirgisische Regierung dazu auf, Brautraub konsequent zu bekämpfen. – Die Praxis ist seit Jahren illegal, lebt aber dennoch vor allem in ländlichen Gebieten weiter, oft sogar gedeckt durch lokale Behörden.
Nicht mehr Atambayevs Kirgistan
Der Majlis Podcast von RFE/RL hat in den letzten Wochen gleich mehrere Ausgaben der politischen Entwicklung in Kirgistan gewidmet. Denn Sooronbai Jeenbekov, der im vergangenen Oktober als Nachfolger von Almasbek Atambayev zum Präsidenten Kirgistans gewählt worden war, emanzipiert sich deutlich von Atambayev.
So war im April der noch unter Atambayev ins Amt gekommene RegierungschefSapar Isakov entlassen und der bisherige Chef der Präsidentenadministration Mohammedkaly Abylgaziev zu dessen Nachfolger bestimmt worden.
Doch das ist nur der prominenteste von Atambayevs Alliierten, diein letzter Zeit ihren Job verloren haben oder sogar mit Strafverfahren rechnenmüssen. Getroffen hat es auch den Chef der nationalen Sicherheitsbehörden GKNB Abdil Segizbayev und seinen Stellvertreter Bolot Suyumbayev, Generalstaatsanwältin Indira Joldubayeva und den Chef der Zollbehörde Kubanychbek Kulmatov.
Verliert Ex-Präsident seine Immunität?
Atambayev selbst muss sogar mit der Aufhebung seiner Immunität rechnen. Mehrere Parlamentsabgeordnete wollen ein Gesetz vorbereiten, das diesen Schritt ermöglicht. Im Mittelpunkt stehen dabei Korruptionsvorwürfe rund um den Auftrag an ein chinesisches Unternehmen zur Modernisierung eines Wärmekraftwerks.
Aidai Erkebekova bezweifelt in einem Artikel auf der Nachrichtenseite Kloop, dass es juristisch überhaupt möglich sei, Atambayev im Nachhinein die Immunität nachträglich für in der Vergangenheit begangene mögliche Straftaten zu entziehen.
Nichtsdestotrotz ist die Position des Ex-Präsidenten deutlich geschwächt. So ließ Atambayev jetzt auch Strafverfahren, die er selbst zu seiner Amtszeit gegen zahlreiche Journalisten und Aktivisten eröffnet hatte, einstellen.
Was bisher völlig unklar ist – wohin will Jeenbekovs Administration mit dem derzeitig großflächig angelegten Kampf gegen Korruption? Möglicherweise, so die Runde in einem der letzten Majlis Podcasts zum Thema, handelt es sich lediglich um einen Rachefeldzug des neuen Präsidenten, weil Jeenbekov sich von Atambayev auch nach den Präsidentschaftswahlen noch als Marionette behandelt sah. Jetzt wolle er Atambayev und seine Leute auf „demokratisch“ legitimierte Weise loswerden.
Temir Birnazarovs Film “Willkommen, Mr. Präsident!”- Ein Meilenstein
Ein bemerkenswerter Film scheint dem kirgisischen Regisseur Temir Birnazarov gelungen zu sein. Edil Baisalov, langjähriger Politik-Aktivist, zeigt sich in seiner Rezension von „Kosh kelingis, myrza president!“ («Кош келиниз, мырза президент» „Willkommen, Mr. Präsident!“) geschockt von der lapidaren Nüchternheit, mit der das Funktionieren der kirgisischen Gesellschaft seziert wird.
Im Film kehrt (der fiktive) Ex-Präsident Osmonbek Sakayevich, der nach seiner Entmachtung aus Kirgistan geflohen war, mit einem dank kosmetischer Operationen neuen Gesicht in sein Land zurück. Unerkannt durchlebt er nun einen „Gang durch die Hölle aus Polizei, Sklavenarbeit auf einem Bauernhof und psychiatrischer Klinik.“ Er kommt mit dem Bodensatz der Gesellschaft in Kontakt, mit Verbrechern, Obdachlosen, und hört, was über ihn, den Ex-Präsidenten, geredet und gedacht wird. Am Ende will er sich umbringen, findet aber Arbeit auf einer Deponie, wo er auf ebenso abgehalfterte Weggenossen, den Premierminister und Ex-Regierungsmitglieder, trifft.
Außer dem Trailer habe ich Netz keine weiteren Ausschnitte finden können und den Film selbst nicht gesehen. Aber Baisalov bezeichnet ihn als „Meilenstein“ – weil er die heute in Kirgistan vorherrschende Agonie nachzeichne, die die bewegten, revolutionären Zeiten Ende der 2000er Jahre als naiv erscheinen lasse.
Tadschikistan – Namensänderung mit Symbolcharakter
Der tadschikische Außenminister, bisher bekannt als Sirodjidin Muhriddinovich Aslov, hat sich in Sirodjidin Muhriddin umbenannt. Damit folgte er dem Beispiel des tadschikischen Präsidenten Emomali Rahmon, der 2007 seinen russischen in einen tadschikischen Namen umbenannt hatte. Offiziell bekannt gegeben wurde die Namensänderung nicht, der Name wurde lediglich auf der Website des tadschikischen Außenministeriums geändert.
Rund 50 Demonstranten haben am 21. Mai vor der iranischen Botschaft in Duschanbe demonstriert. Sie protestierten gegen die Unterstützung der in Tadschikistan verbotenen Islamischen Partei der Wiedergeburt IRPT durch den Iran. Man wolle keinen neuen Bürgerkrieg, hieß es seitens der Demonstranten. Und „Nieder mit Kabiri“. Der Chef der aus dem Exil agierenden Partei IRPT, Muhiddin Kabiri, war vergangenes Jahr zu einer Konferenz im Iran eingeladen worden. – Seitdem sind die Beziehungen zwischen den beiden Ländern angespannt.
Alarmierende Unterernährung bei Kindern
Am 26. Mai um 6.30 Uhr erblickte in Duschanbe das zweite Kind von Nazira Mullojonova und Firuz Rafiev das licht der Welt, ein kleines Mädchen. Warum das berichtenswert ist? – Die Kleine ist offiziell die neunmillionste Einwohnerin Tadschikistans. Präsident Emomali Rahmon ließ Glückwünsche ausrichten und schenkte der Familie eine Wohnung im Zentrum der tadschikischen Hauptstadt.
Tadschikistan hat unter den Ex-Sowjetrepubliken mit 2,2 Prozent das höchste Bevölkerungswachstum. Jedes Jahr wächst das Land um 200.000 Menschen.
Leider hält das Land auch einen anderen Rekord. UNICEF, die Weltbank und die Weltgesundheitsorganisation WHO haben im Mai Daten zur Unterernährung weltweit veröffentlicht. Eines der Ergebnisse – Kinder in Tadschikistan leiden innerhalb der ehemaligen Sowjetrepubliken am stärksten an Unterernährung. Eines von vier Kindern hat Wachstumsstörungen infolge unzureichender Ernährung.
Empfohlen sei an dieser Stelle – auch wenn der Übergang schwer ist – der Twitter-Account der tadschikischen Journalistin Anahita. Sie twittert über spannende, leicht zu übersehende politische Entwicklungen in Tadschikistan, gibt aber auch immer mal wieder unkonventionelle Reise-Tipps, so wie diesen hier aus.
Turkmenistan – Berdymukhamedov erstmals im Interview
Gurbanguly Berdymukhamedov hat erstmals einem internationalen TV-Kanal ein Interview gegeben – okay, dem russischen Fernsehsender „Rossiya 24“. Das Interview fand während der Feierlichkeiten am „Tag des Achal-Tekkiner Rennpferds“ statt.
Während Claqueure im Hintergrund „Arkadaga shokhrat“ – „Es lebe der Vater der Nation“ – skandierten, erzählte Berdymukhamedov in lockerem Plauderton über die großartigen Erfolge Turkmenistans in Wirtschaft, Bildung, Wissenschaft oder über die einzigartig guten Beziehungen zu Russland. Der russische Reporter erkundigte sich nach den ausgezeichneten Reitkünsten des Präsidenten – „das liegt wohl an unseren Genen“, antwortete Berdymukhamedov –, fungierte aber die meiste Zeit als Statist während des fast 20-minütigen Monologs des Präsidenten.
USA verbietet Import turkmenischer Baumwolle
Über die enormen wirtschaftlichen Probleme, denen sich Turkmenistan derzeit gegenüber sieht, erwähnte Berdymukhamedov erwartungsgemäß nichts. Das Land leidet unter anderem unter extremem Devisenmangel. – Da wird auch der Importbann auf Baumwolle aus Turkmenistan, den die US-Zollbehörden im Mai aussprachen, wenig Freude hervorrufen. Baumwolle ist, neben Erdgas, nahezu das einzige Exportgut Turkmenistans, das für den Weltmarkt von Bedeutung ist.
Die Menschenrechtsorganisation International Labor Rights Forum (ILRF) hatte sich für den Bann eingesetzt, da die Baumwolle in Turkmenistan unter staatlich organisierter Zwangsarbeit geerntet wird.
Der Anbau von Baumwolle in extrem wasserarmen Wüstengegenden von Turkmenistan und Usbekistan hat jetzt seine dramatischen Folgen gezeigt – einen ungewöhnlich heftigen Salzsturm. – Ende Mai bedeckte der weite Teile Nord-Turkmenistans und West-Usbekistans mit einer bis zu zwei Zentimeter dicken Schicht aus Staub, Salz und vermutlich toxischen Rückständen aus ausgetrockneten Landstrichen rund um den Aralsee.
Die Menschen hätten Atemprobleme gehabt, Flüge seien ausgefallen. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, twitterte die US-Diplomatin Laura Kennedy.
Usbekistan: Mirziyoyev trifft Trump
Vom 15. bis 19. Mai absolvierte Shavkat Mirziyoyev seine bisher wohl international wichtigste Auslandsreise und traf Donald Trump in Washington. Es war die erste Visite eines usbekischen Präsidenten in den USA seit dem Jahr 2002. – Das Treffen wurde in der gemeinsamen Abschlusserklärung als Meilenstein deklariert, als „Startschuss für eine neue Ära der strategischen Partnerschaft“.
Dass die Partnerschaft tatsächlich einen Neuanfang braucht, zeichnete The Diplomat nach. Die beiden Länder verbinde eine Jahrzehnte lange Pendelpolitik, doch nach dem Massaker von Andischan im Jahr 2005 seien sie so weit auseinander gedriftet wie nie zuvor. Ob Trump die Beziehung politisch neu austarieren könne, bezweifelt das Magazin aber – zu wenig Interesse habe er an der Region.
Zuhause ein Erfolg
Für Mirziyoyev selbst war der Besuch ein voller Erfolg. Dass er Vereinbarungen zwischen Unternehmen beider Länder im Umfang von 4,8 Milliarden US-Dollar mit nach Taschkent brachte, macht ihn zuhause nur noch mehr zum Hoffnungsträger. – Über Menschenrechte, merkte die New York Times an, hätten die beiden Präsidenten sich übrigens nicht ausgetauscht.
Ende April hatte auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan drei Tage lang Usbekistan besucht. Ergebnis der Staatsvisite sind bilaterale Investitionsvereinbarungen in Höhe von drei Milliarden US-Dollar. Die Türkei ist in den turksprachigen Ländern Zentralasiens – Kasachstan, Kirgistan, Turkmenistan und Usbekistan – in den vergangenen zwei Jahrzehnten sehr aktiv. Jetzt will sie offenbar auch vom erwarteten Wirtschaftsboom in Usbekistan, katalysiert durch die neue Politik von Schavkat Mirziyoyev, profitieren.
Selbst in Ost-Asien ist man mittlerweile auf die Schritte in Siebenmeilen-Stiefeln, die Usbekistan derzeit unternimmt, aufmerksam geworden – und wartet auf die Ausgabe eines eine Million US-Dollar schweren Eurobonds. Und wie ich selbst aus Gesprächen weiß, scharren auch deutsche Unternehmen mit den Hufen.
„Pressefreiheit bemisst sich nicht in Anzahl von Journalistenköpfen hinter Gittern“
Bobomurod Abdullayev und drei weitere Journalisten, die wegen eines angeblich geplanten Staatsstreichs vor Gericht gestanden hatten, sind frei. Am 7. Mai waren sie lediglich wegen „Antiregierungspropaganda“ zu gemeinnützigem Dienst verurteilt worden. Der Prozess galt als Lackmus-Test für die Haltung der neuen Regierung in Usbekistan gegenüber der Pressefreiheit.
Nach der Freilassung weiterer Journalisten ist nun seit mehr als 20 Jahren kein einziger Journalist in Usbekistan mehr in Haft. Gulnoza Said erläutert, welcher Meilenstein das ist. Sie weist aber auch darauf hin, dass Pressefreiheit sich nicht allein in der „Anzahl von Journalistenköpfen [hinter Gittern]“ bemesse. Garantiert werden müsse nun, dass Mirziyoyevs Worte nicht leere Versprechen blieben, und dass keinem weiteren Journalisten in Usbekistan jemals erneut die monströsen Ungerechtigkeiten wiederführen, die die Kollegen in den vergangenen Jahren erleben mussten.
Westliche Journalistin akkreditiert
Im Mai wurde erstmals seit Anfang der 2000er Jahre wieder eine westliche Journalistin in Usbekistan akkreditiert – Naavbahor Imamova, gebürtige Usbekin, wird künftig für Voice of America aus Usbekistan berichten. Sie wird dies, wie sie mir auf Anfrage mitteilte, hauptsächlich von Washington aus tun, wolle aber, so oft sie könne, nach Usbekistan reisen.
Über die Akkreditierung hinaus sollte die usbekische Regierung allerdings auch sicherstellen, dass die Website von Voice of America in Usbekistan zugänglich ist. – Bisher ist sie nämlich noch blockiert.
Übrigens sorgte Imamova gleich für eine Premiere. Ihr Interview mit Lisa Curtis, Süd- und Zentralasien-Beauftragte im Nationalen Sicherheitsrat des Weißen Hauses, anlässlich Mirziyoyevs Besuchs in Washington, wurde in mehreren Medien Usbekistans in Russisch und Usbekisch wiedergegeben. Dass staatliche usbekische Medien Voice of America zitieren ist bemerkenswert!
Regierungskritiker jetzt in Regierungskommission
Ein weiterer kleiner Meilenstein: Daniil Kislov, Gründer und Chefredakteur der Website Fergananews, der aus Usbekistan stammt und seit 1995 in Moskau lebt, wurde in einen Expertenrat der usbekischen Regierung für die weitere Entwicklung des Landes bis zum Jahr 2035 berufen. Der Expertenrat hat am 7. Mai offiziell seine Arbeit aufgenommen. Zu seinen Mitgliedern gehören vor allem zurückgekehrte Exil-Usbeken, aus Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft.
„Es ist mir eine Ehre, im Expertenrat zu sein“, kommentierte Kislov seine Berufung. „Als aus der Region stammender Journalist und Medienexperte bin ich gerne bereit, mich an der Analyse von Problemen zu beteiligen … Und ich hoffe sehr, dass unsere Empfehlungen von der usbekischen Regierung gehört werden“.
Webseiten noch immer blockiert
Übrigens – auch Fergananews ist nach wie vor in Usbekistan blockiert, ebenso der usbekische Dienst von BBC sowie die regierungskritischen Seiten Uzmetronom und Asia Terra.
Dafür soll die Registrierung von Nichtregierungsorganisationen und deren Zusammenarbeit mit dem Ausland deutlich erleichtert werden.
Und erstmals seit 14 Jahren war Amnesty International wieder in Usbekistan. Die Menschenrechtsorganisation hatte kurzfristig die Erlaubnis bekommen, dass Marie Struthers, Leiterin des Regionalbüros Osteuropa und Zentralasien (EECA), und ihr Stellvertreter Denis Krivosheev das Land vom 22. bis 25. Mai besuchen dürften.
Nur gute Nachrichten!
Wer übrigens an ausschließlich positiven Meldungen aus Usbekistan interessiert ist, sollte unbedingt Jonas Astrup, Chefberater der Internationalen Arbeitsorganisation ILO in Usbekistan, auf Twitter folgen.
Die ILO ist jene Organisation, die die Tätigkeit der Weltbank auf usbekischen Baumwollfeldern evaluierte, dort die Absenz von Zwangsarbeit attestierte und sich dabei als nicht ganz unabhängig – weder von der Weltbank, noch von der usbekischen Regierung – erwiesen hatte. Dass die derzeitige Politik, bei der Usbekistan umso stärker auf guten Leumund angewiesen ist und in der Entwicklungszusammenarbeit riesige Projekte im Raum stehen, könnte geringfügig mit Astrups heiter-naivem Optimismus zu tun haben.
Und sonst?
Diesmal an dieser Stelle ein bisschen Eigenwerbung: Ende Juni bin ich in Deutschland und werde an zwei Veranstaltungen rund um das Thema Auslandsberichterstattung aus Zentralasien teilnehmen.
Am 27. Juni bin ich eine von drei Experten bei der Diskussion „Diktatoren, Öl und Seidenstraße – Zentralasien in der deutschen Öffentlichkeit“ in Berlin. Sie wird von n-ost, dem Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung, durchgeführt. Einzelheiten und die Möglichkeit zur Anmeldung gibt es hier.
Am 29. Juni bin ich erstmals zur Konferenz von Netzwerk Recherche in Hamburg eingeladen und sitze im Panel von „Weiße Flecken der Berichterstattung in einer globalisierten Welt“. Ich freue mich, dass ich als Zentralasien-Korrespondentin einen dieser weißen Flecke präsentieren darf, auch wenn es natürlich noch sehr viele andere davon gibt.