Am 15. Oktober wählt Kirgistan einen neuen Präsidenten. Anders als in den zentralasiatischen Nachbarstaaten ist dort nicht schon vorher klar, welcher Kandidat gewinnen wird. Die Wahlen werden dennoch zu einer Bewährungsprobe für die Demokratie, denn von verlässlichen demokratischen Mechanismen ist Kirgistan noch weit entfernt.
Wenn es nur nach der Präsenz im Wahlkampf ginge, stünde jetzt schon fest, wer am 15. Oktober neuer Präsident Kirgistans wird. Keiner der Kandidaten, die sich an diesem Sonntag in dem zentralasiatischen Land zur Wahl stellen, hat so viel Geld in seine Wahlkampagne investiert wie Omurbek Babanow. Selbst in entlegensten Dörfern hat er Plakate mit seinem Konterfei aufhängen lassen.
Tatsächlich, so sind sich Wahlbeobachter einig, wird der 47-Jährige, gut vernetzte Geschäftsmann Babanow das Rennen machen. Bevor der Mitte der 2000er Jahre in die Politik ging, hatte er ein Milliardenvermögen mit dem Export von Baumwolle und Ölimporten gemacht. Er repräsentiert das wirtschaftsliberale Kirgistan, das sich von alten Sowjetfunktionären emanzipieren will.
Favorit des jetzigen Präsidenten Almasbek Atambajew ist Sooronbay Jeenbekow, der wie Atambajew Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Kirgistans ist. Jeenbekow hatte im August den Posten als Premierminister geräumt, um sich als Präsidentschaftskandidat aufstellen zu lassen. Was Babanow an finanziellem Potenzial in den Wahlkampf bringt, macht Jeenbekow damit wett, dass der sich der Unterstützung des gesamten Staatsapparats sicher sein kann.
Atambajew darf laut Verfassung nach sechs Jahren Amtszeit nicht mehr antreten. Er war 2011 gewählt worden, am Ende eines konstitutionellen Umbauprozesses nach dem gewaltsamen Sturz seines Vorgängers im April 2010. Per Verfassungsreferendum hatten die Kirgisen sich damals zu einer parlamentarischen Demokratie erklärt und im Oktober 2011 erstmals frei einen Präsidenten gewählt.
Seitdem gilt Kirgistan vor allem im Westen als die demokratische Hoffnung Zentralasiens und als Gegenstück zu den autokratischen Nachbarländern Usbekistan und Turkmenistan.
Doch kann Kirgistan diese Erwartungen erfüllen? Die Journalistin Kayrgul Urumkanova ist überzeugt, „der Westen hält an diesem Ideal fest und will nicht sehen, was in Kirgistan tatsächlich los ist.“ Von einer funktionierenden Demokratie sei das Land weit entfernt. Urumkanova war Chefredakteurin des einzigen nichtstaatlichen Fernsehsenders „Sentyabr“, bis der im August dieses Jahres geschlossen wurde. Auslöser für den Lizenzentzug: Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, Falschmeldungen über den Präsidenten verbreitet zu haben.
„Die Entscheidung, den Sender zu schließen, war eindeutig rechtswidrig“, ist Urumkanova überzeugt. „Doch dagegen vorzugehen, war aussichtslos, denn unser Rechtssystem setzt einzig die Interessen der Eliten durch“.
Die Regierung Atambajews ist in den vergangenen Monaten immer rigider gegen kritische Journalisten vorgegangen. Die Betreiber des Online-Portals Zanoza.kg wurden wegen „Präsidentenbeleidigung“ zu einer Strafzahlung von 27 Mio. Som (ca. 340.000 Euro) verurteilt. Auch Radio Azattyk, der kirgisische Dienst von Radio Free Europe Radio Liberty, sah sich im Frühjahr durch empfindliche Strafen in Höhe von 20 Mio. Som (ca. 248.000 Euro) bedroht. Die Forderung wurde jedoch im Juli fallengelassen.
Im Wahlkampf kocht außerdem ein politisch heikles Thema wieder hoch: Der Konflikt zwischen Kirgisen und der usbekischen Minderheit im Süden des Landes, sechs Jahre nach den blutigen Zusammenstößen in Osch. Bei ethnischen Auseinandersetzungen waren 2010 mehrere Hundert Menschen, vor allem Usbeken, ums Leben gekommen. Bis heute, so Menschenrechtler, würden Usbeken durch die von Kirgisien dominierten Behörden benachteiligt.
In sozialen Medien ist nun ein Video aufgetaucht, in dem Babanow bei einer Wahlveranstaltung in Osch im Falle seines Wahlsieges angekündigt haben soll, „wenn auch nur ein Polizeibeamter einen Usbeken anfasst, wird er gefeuert“. Vor seinen Wahlbüros in Osch und im benachbarten Jalalabad war es daraufhin zu Protesten gegen Babanow gekommen. Eine solch offene Sympathie für die usbekische Minderheit des potenziellen Präsidenten birgt politischen Sprengstoff, da sich dadurch wiederum Kirgisen in ihrem Land diskriminiert fühlen.
Mittlerweile haben kirgisische Sicherheitsbehörden Untersuchungen gegen Babanow eingeleitet. Der jedoch weist die Vorwürfe zurück und vermutet eine politische Kampagne des Staatsapparats, der hinter seinem Konkurrenten Jeenbekow steht. Die Anschuldigen kurz vor dem Wahltag sollten ihn, Babanow, um seinen Wahlsieg bringen.
Möglich ist sogar, dass Babanow noch kurz vor dem Wahltag als Kandidat ausgeschlossen wird. Für diesen Fall haben seine Anhänger bereits angekündigt, das nicht protestfrei hinnehmen zu wollen. Es ist also tatsächlich noch alles offen in Kirgistan.
Erschienen auf Ostpol, 12.10.2017