Die kasachische Forschungslandschaft hat viel Potenzial. Die technische Ausstattung ist oft gut und vor allem junge Wissenschaftler suchen internationalen Anschluss.

Forschung in Kasachstan – die wenigsten europäischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben eine Vorstellung davon, wie sich ihre Arbeit in dem zentralasiatischen Land gestalten würde. Viele haben die Region in Sachen Forschung noch nicht auf dem Schirm. So ging es auch dem Immunologen Professor Timo Burster, der in Tübingen, Stanford und Breslau geforscht hatte, bevor er 2018 als Associate Professor an die Nazarbayev University (NU) in der kasachischen Hauptstadt Nur-Sultan berufen wurde.

„Das kann ja nicht sein“, habe er ungläubig gestaunt, als er den Campus der im Jahr 2010 gegründeten kasachischen Elite-Universität erstmals betrat. Die moderne technische Ausstattung, das internationale Kollegium und die Bedingungen, die ihm für seine Forschung geboten wurden, hätten ihn damals schnell überzeugt. Burster ist einer von mehr als 400 Wissenschaftler aus rund 55 Ländern, die derzeit an der NU beschäftigt sind. Die gilt, anders als andere Hochschulen in Kasachstan, ausdrücklich als Forschungszentrum. Mehr als 80 Laboratorien und eigene Forschungsprogramme betreibt die Universität.

Burster ist auf immunologische Grundlagenforschung spezialisiert. Die Pandemie hat seinem Forschungsgebiet Relevanz verschafft – sein Fachbereich berät in einer Task Force die kasachische Regierung beim Kampf gegen das Coronavirus. Burster stehen ein hochmodernes Labor und für ein zweieinhalb Jahre laufendes Projekt ein hohes Budget zur Verfügung. „Das sind hervorragende Bedingungen“, sagt er. „Die Gelder sind da und internationale Kollaborationen unterstützt die Universität ausdrücklich.“

Strikte Trennung von Forschung und Lehre

Die explizit als Leuchtturm der kasachischen Forschungslandschaft geplante Nazarbayev University ist eine Ausnahme, wenn es um Grundlagenforschung an Hochschulen geht. Traditionell sind in Kasachstan Forschung und Lehre getrennt: Hochschulen sind für die Ausbildung von Spezialisten verantwortlich, geforscht wird an mehr als 100 staatlichen und einigen privaten wissenschaftlichen Instituten. Dazu zählen beispielsweise medizinische Institute für Krebsforschung oder Herzkrankheiten, die naturwissenschaftlichen Institute wie das Institut für Zoologie oder Geografie, die früher der Akademie der Wissenschaften angegliedert waren, oder das Forschungsinstitut für Kultur. Im Zuge bildungspolitischer Reformen wurden neben der NU allerdings auch acht weitere Hochschulen zu Forschungsuniversitäten bestimmt.

Für die Ausrichtung der Forschung und deren Finanzierung ist das Ministry of Education and Science of the Republic of Kazakhstan zuständig. Mehrere an das Wissenschaftsministerium angebundene Institutionen sollen die Forschungspolitik umsetzen – einen eher unflexiblen Rahmen, der in mehrjährigen Strategien wie dem Entwicklungsprogramm „Kasachstan 2050“ oder dem „Programm zur industriell-innovativen Entwicklung der Republik Kasachstan 2020-2025“ vorgegeben ist.

Wissenschaft agiert kaum unabhängig vom Staat

Unabhängig und eigenständig könnten die staatlichen Institutionen kaum agieren, so die Erfahrung von Dr. Peter Liebelt. Der Geograf und Geoökologe koordiniert im Central Asian Sustainable Innovation Bureau (CASIB) anwendungsorientierte Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zwischen Deutschland und den zentralasiatischen Ländern. Das Projektbüro wurde als Teil von CLIENT II gegründet. Mit dieser Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) fördert Deutschland nachfrageorientierte Forschungskooperationen mit ausgewählten Schwellen- und Entwicklungsländern, in Kasachstan zu den Themen Umwelt, Klima und Energie (siehe S. 26-29). Zudem leitet Liebelt die Repräsentanz der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in Almaty.

„Einige politische Entscheidungsträger haben das Potenzial von Wissenschaftskooperationen vielleicht noch nicht in vollem Umfang erkannt“, vermutet Liebelt. „Ein dem Ministerium angegliederter Wissenschaftsfonds wurde explizit zur Kommerzialisierung kasachischer Forschungserfolge gegründet. Dort besteht großes Interesse an der Zusammenarbeit mit uns“, so Liebelt. „Das Ministerium selbst aber entscheidet über mögliche Projekte oft nur schleppend und scheint eher auf Initiativen unsererseits zu warten.“

Dabei ist Liebelt von den Chancen in Kasachstan überzeugt. „Viele junge Wissenschaftler hier haben Auslandserfahrung, sprechen mehrere Sprachen und sind weltoffen.“ Ihnen fehle es aber häufig an Kontakten in internationale Netzwerke und zum Teil auch an Kenntnissen über Mechanismen zur Beschaffung von Fördergeldern. Projektvorschläge kämen deshalb bisher selten aus Kasachstan.

Liebelt sieht in dem Land vor allem viele Anknüpfungspunkte für Forschung zu angewandten Wissenschaften, insbesondere in der Landwirtschaft und beim Thema Digitalisierung. „Smart Farming ist ein Wachstumsmarkt in Kasachstan“, ist er sich sicher. Ein Problem benennt er aber als essenziell: „Kasachische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind oft unterbezahlt.“ Internationale Unternehmen könnten Mitarbeitende aus kasachischen Partnerinstitutionen deshalb schnell abwerben.

Geringe staatliche Investitionen in Forschung und Entwicklung

Die Ausgaben Kasachstans für Forschung und Entwicklung (FuE) sind im internationalen Vergleich bescheiden. Laut dem jährlich erscheinenden nationalen Wissenschaftsbericht wollte Kasachstan im Jahr 2020 ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für FuE ausgeben. Das wären rund 1,35 Milliarden Euro gewesen. Tatsächlich wurden aber nur knapp 165 Millionen Euro aufgewendet, 0,12 Prozent des BIP. Gründe für die geringe Summe seien die Pandemie und eine Wirtschaftskrise, die Kasachstan seit Beginn des Ukraine-Konflikts im Jahr 2014 durch die engen ökonomischen Verbindungen zu Russland belastet.

Von den eher geringen FuE-Ausgaben sollte allein die Nazarbayev University als führendes Forschungszentrum für die Jahre 2019 bis 2021 rund 355 Millionen Euro erhalten, für 2020 allein rund 107 Millionen Euro – rund zwei Drittel der gesamten FuE-Ausgaben des Jahres. Allerdings wird die Nazarbayev University zu geringen Teilen auch aus anderen Ressorts finanziert, nicht nur durch das Ministry of Education and Science of the Republic of Kazakhstan.

Eine kombinierte Finanzierung aus staatlichem Wissenschaftsetat und freier Wirtschaft wäre auch in Kasachstan eine gute Lösung, um Forschungsprojekte anzustoßen. „Kasachische Unternehmen sind durchaus interessiert, sich an Forschung zu beteiligen“ sagt Ronald Voogdt, Präsident des Almaty College of Innovation and Technology (ACIT). Laut UNESCO wird rund die Hälfte der FuE-Ausgaben insgesamt durch Unternehmen getragen. „Doch die meisten tun dies nicht, weil sie technischen oder ökonomischen Mehrwert daraus erwarten, sondern weil der Staat sie dazu beauftragt hat“, so Voogdt. . „Die Freiheit, eigene Akzente zu setzen, haben meist weder Forschungsinstitutionen noch Unternehmen, weil das Bewusstsein für deren Notwendigkeit in staatlichen Behörden, die die Entwicklung vorgeben, nicht vorhanden und nicht gewünscht ist.“

Hardware top, Software ausbaufähig

Voogdt hat seit 2004 im Management zahlreicher kasachischer Hochschulen gearbeitet, darunter die Kazakh-British Technical University (KBTU) und das Kazakhstan Institute of Management, Economics and Strategic Research (KIMEP), zwei der renommiertesten privaten Hochschulen mit internationaler Forschungsarbeit. Sein Fazit: „Kasachstan ist schnell beim Aufbau neuer Einrichtungen, der Hardware also. Es ist technisch relativ einfach, ein Gebäude zu bauen, das man am Ende eines Projekts vorweisen kann. Die große Herausforderung aber ist die Software – der Mensch. Die Einrichtungen mit Leben zu füllen, Wissenschaftler zu befähigen, innovative Leistungen zu erbringen, darin ist Kasachstan bisher weniger geübt.“

Voogdt selbst hat sich als Gründer des ACIT entschieden, erst einmal in den Unterbau der Forschungslandschaft zu investieren und international wettbewerbsfähige IT-Fachkräfte auszubilden. „Wenn diese dann in den Unternehmen ankommen, kennen sie den Sinn von FuE-Investitionen und können deren Akzeptanz in den Unternehmen erhöhen.“

Gelingt es Kasachstan, seine Forschungslandschaft in Zukunft noch wettbewerbsfähiger zu gestalten, wird sich dies auch positiv auf die Einbindung in internationale Netzwerke auswirken. . Die angewandten Wissenschaften bieten dafür – mit allem, was das Land sonst mitbringt – beste Chancen.

Der Artikel ist im Länderprofil Kasachstan von Gate//Germany Internationales Hochschulmarketing erschienen. Hier gibt es die gesamte Publikation zum Download.