Personenkult: Überlebensgroßes Gemälde von Präsident Emomali Rahmon im Foyer des Staatlichen Museums in Duschanbe

Die Politik von Präsident Emomali Rahmon richtet Tadschikistan zugrunde. Die Bevölkerung des Hochgebirgslandes Tadschikistan leidet unter schlechter Wirtschaftslage, hoher Korruption und fehlenden Arbeitsplätzen – rund ein Drittel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Viele Gutausgebildete wandern deshalb aus, andere suchen ihr Glück in der Hauptstadt, wieder andere bleiben bewusst, um die Zukunft ihres Landes mitzugestalten

Da, wo die Landstraße RJ001 vom Pamir-Highway abzweigt, in einer menschenleeren Gegend rund einhundert Kilometer östlich der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe, steht Ibragim an einem kühlen Morgen im stahlgrauen Sonnenlicht und verputzt eine Feldsteinmauer.

Ein paar Meter neben ihm steht in großen tadschikischen Lettern „Rogun“ an einer Tunneleinfahrt, die in den Fels führt – und abrupt in einer Wand endet. Oben auf der Felsspitze weht die tadschikische Flagge, und neben der Tunneleinfahrt stehen ein paar Sitzbänke. Vom Fels herab plätschert ein künstlicher Wasserfall. – Die ganze Anlage ist ein riesiger Springbrunnen.

Ibragim, mit sonnengegerbtem Gesicht und staubiger Arbeitskleidung, legt letzte Hand an dem überdimensionierten Wasserspiel an. Der monumentale Wegweiser, ein Nachbau des Staudamms Rogun, der ganz in der Nähe gebaut wird, soll fertig werden, bevor das Original selbst in Betrieb geht.

130 Franken Monatseinkommen

„In der Gegend hier gab es bisher kaum Arbeit. Aber durch Rogun hat sich das geändert“, erzählt Ibragim, „Die Leute kommen aus Kulob und Chudschand, selbst aus Duschanbe, um hier zu arbeiten.“

Die Baustelle für das Wasserkraftwerk und den mit 335 Metern höchsten Staudamm der Welt, der den Gebirgsfluss Wachsch aufstaut, bedeutet Hoffnung für Menschen wie Ibragim. Tadschikistan ist eines der ärmsten Länder weltweit. Viele Tadschiken, vor allem aus den ländlichen Regionen, verlassen ihre Familien auf der Suche nach Arbeit für ein paar Jahre. Die meisten gehen nach Russland, Hunderttausende sind es jedes Jahr. Das Geld, das sie nach Hause schicken, ist einer der wichtigsten Wirtschaftsmotoren des Landes.

Der Rogun-Staudamm hat schon ein Denkmal, bevor er überhaupt in Betrieb gegangen ist.

Rund 2,6 Mrd. Franken haben tadschikische Arbeitsmigranten im Jahr 2017 nach Hause überwiesen – rund ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts (BIP) Tadschikistans. Vor der Krise in Russland machten die Überweisungen sogar knapp die Hälfte des BIP aus.

Auch Ibragim hat zehn Jahre in Moskau auf dem Bau gearbeitet, bis er vergangenes Jahr nach Tadschikistan zurückkehrte. „Wenn man Glück hat, kann man in Russland rund 3.000 Franken im Jahr verdienen“, sagt er, „doppelt so viel wie hier.“ Das monatliche Durchschnittseinkommen in Tadschikistan liegt bei 130 Franken. Rund ein Drittel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze.

Ibragim ist 44 Jahre alt und hat fünf Kinder. Das jüngste ist noch nicht einmal ein Jahr alt. Es wurde nach Ibragims Rückkehr aus Moskau geboren. Weil es jetzt in der Nähe seines Dorfes Arbeit gibt, hat er sich entschieden, erst einmal hier zu bleiben. Bezahlt wird er von einem lokalen Unternehmer, der mit dem Bau des Springbrunnens am Straßenabzweig nach Rogun seine Treue zum tadschikischen Staat demonstrieren will.

Dass Ibragims Familie wegen des Staudamms umziehen musste, stört ihn nicht. Das Dorf, in dem er aufwuchs, ist mittlerweile durch die aufgestauten Wassermassen des Wachsch geflutet. „Sie haben uns ein neues Dorf gebaut“, freut sich Ibragim. „sehen Sie, da drüben.“ Er zeigt hinüber auf die andere Seite des Flusses, wo sich Häuserreihen an kahle, staubige Hügel drücken.

Präsident hat Immunität bis zum Lebensende

Rogun ist ein wichtiges Prestige-Projekt für den tadschikischen Präsident Emomali Rahmon. Der 66jährige, der das Land seit 1994 regiert, will sich mit dem Mega-Projekt ein Denkmal setzen – und ließ das Wasserkraftwerk kurzerhand nach sich benennen.

Das Kraftwerk soll die Stromversorgung Tadschikistans sichern, denn bisher ist das Land auf teure Energieimporte angewiesen. Viele Dörfer haben nur stundenweise Strom. Und selbst in Duschanbe kommt es vor allem im Winter regelmäßig zu Stromausfällen.

Die Hauptstadtbewohner leben mit diesem Umstand, ebenso damit, dass das Konterfei von Präsident Rahmon in überdimensionaler Größe an vielen Gebäuden der Stadt prangt. Rahmon hat sich im Jahr 2015 den Titel „Führer der Nation: Gründer von Frieden und Einheit“ verleihen und Immunität bis zum Lebensende zusichern lassen. Politische Ämter vergibt er gern innerhalb seiner Familie. Rahmons Sohn Rustam Emomalij wurde im Alter von 29 Jahren zum Bürgermeister von Duschanbe ernannt. Es wird spekuliert, dass er seinen Vater auch als Präsident beerben soll.

Die Polizei ist in der Hauptstadt Duschanbe überall präsent, hier, um Marktfrauen zurechtzuweisen.

Haydar Kurbonov möchte über all das lieber nicht sprechen. „Politik ist ein heikles Thema“, gibt er zu. Der redegewandte Endzwanziger nutzt die Chancen, die sich ihm trotz schlechter Wirtschaftslage bieten. Stolz führt er durch den Autosalon, in dem er arbeitet: Auf drei Seiten vollverglast, so dass die Sonne sich auf den glänzenden schwarzen, weißen und limettengrünen Neuwagen spiegelt. Kurbonov ist tadschikischer Verkaufschef der Automarke Ravon, die im Nachbarland Usbekistan produziert wird.

„Das teuerste Modell ist die C-Klasse“, erläutert er. „Die geht bei 12.600 Dollar los und ist vom Preis her für die Mittelklasse angelegt.“ Für viele Tadschiken sind die Limousinen kaum erschwinglich, wie ein gut gekleideter Kunde zugibt: „Selbst bei einem guten Lohn braucht man hier zehn, 15 Jahre, bis man sich so ein Auto leisten kann.“

Was Kurbonov nicht erzählt, längst nicht jeder Tadschike hat die Möglichkeit, so einen Job zu finden wie er. Vetternwirtschaft und Bestechungsgelder stehen in Tadschikistan auf der Tagesordnung. Beim Korruptionswahrnehmungsindex stand Tadschikistan zuletzt auf Rang 161 von 180 Ländern.

In Tadschikistan bleiben statt davonlaufen

Wer es sich finanziell leisten kann, versucht deshalb, das Land dauerhaft zu verlassen. Schon nach dem Ende der Sowjetunion und während des Bürgerkriegs flohen gut ausgebildete Tadschiken ins Ausland. Einfache Arbeiter und Bauern zogen in die frei werdenden Wohnungen der größeren Städte. Auch das Gesicht der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe hat sich dadurch verändert.

Die Entwicklung ihrer Stadt interessiert Anahita Saymidinova. Die 30-jährige stammt aus einer gut situierten Familie von Künstlern und Wissenschaftlern, hat internationale Beziehungen studiert und mehrere Jahre lang für die britische Botschaft in Duschanbe gearbeitet. Dank eines Stipendiums studiert sie ein Jahr lang in den USA Stadtplanung. „Ich will wissen“, sagt sie, „wie die Zivilgesellschaft besser in Entscheidungen zur Stadtentwicklung einbezogen werden kann.“

Das Tragen von Kopftüchern als Zeichen des Glaubens ist in Tadschikistan nicht erwünscht.

Durch ihre internationalen Kontakte wäre es Saymidinova ein Leichtes, ihrem Land dauerhaft den Rücken zu kehren. Aber sie will bleiben. „Wenn alle gehen, was soll dann aus Tadschikistan werden? Wenn nur noch Leute ohne die erforderlichen Qualifikationen in der Regierung sind, wird sich das Land nicht weiterentwickeln.“

Saymidinova beschäftigt auch, dass mehr und mehr ihrer Altersgenossen den Islam als ihren Lebenssinn betrachten. Rund 90 Prozent der Tadschiken sind Muslime. „Viele sind dankbar“, so sagt die junge Frau, „dass sie sich so einer Gemeinschaft zugehörig fühlen können.“

Islam als Lebenssinn

Das Paradox: Tadschiken wagen es immer seltener, ihren Glauben offen zu zeigen. – In einem Dorf vor den Toren von Duschanbe, auf der Dorfstraße vor der zentralen Moschee trottet eine Kuh entlang. Der Wächter der Moschee bereitet den Gebetsraum für das nachmittägliche Gebet vor. Nach und nach kommen ein paar Männer, schlüpfen auf der Veranda der Moschee aus ihren Sandalen und huschen barfuß in den großzügigen, mit Teppichen ausgelegten Raum. Dann eilt der Muezzin herbei, ein junger Mann mit gestickter Kappe auf dem Hinterkopf und gestutztem Vollbart.

Auf der Veranda stehend ruft der Muezzin zum Gebet, bevor er selbst hineingeht. Insgesamt sind an diesem Nachmittag nur etwa 15 Männer dem Ruf gefolgt. „Noch vor ein paar Jahren“, erzählt der Wächter. „haben sie bis raus auf die Straße gestanden. Aber jetzt dürfen nur die Älteren noch öffentlich beten.“

Tatsächlich reguliert der tadschikische Staat das religiöse Leben so weit, dass lange Bärte, dunkle Kleider und Kopftücher verboten sind. Frauen und junge Männer dürfen keine Moscheen mehr besuchen. Dadurch, heißt es seitens der Regierung, solle extremistischen Tendenzen vorgebeugt werden. Wer gegen die Verbote verstößt, muss mit Geld- und Haftstrafen rechnen.

Weil es mittlerweile so viele staatliche Verbote rund um religiöse Fragen gebe, würden viele Menschen jetzt lieber ganz zuhause beten, erzählt der Wächter der Moschee. Die Restriktionen in Frage zu stellen, wagt er nicht: „Wenn das da oben angeordnet wird, was können wir armen Leute dagegen tun? Wir müssen gehorchen.“

Artikel im Magazin “Eine Welt” 03/2019

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