Unbekanntes Zentralasien – Ungewöhnlicher Blick auf Nur-Sultan, das ehemalige Astana

Edda Schlager ist die einzige deutsche Journalistin, die regelmäßig aus Zentralasien berichtet. Seit fast 15 Jahren lebt sie im kasachischen Almaty – mit Ostexperte.de sprach sie über die Region, das Ansehen Deutschlands und die aus ihrer Sicht enttäuschende Rolle Europas. 

Ostexperte.de: Frau Schlager, sie kommen ursprünglich aus der Oberlausitz. Wie genau hat es Sie nach Kasachstan verschlagen?

Ich kam damals durch ein sechsmonatiges Stipendium nach dem Studium hierher, ursprünglich wollte ich nur irgendwo Russisch lernen. Innerhalb eines halben Jahres habe ich die Sprache zwar nicht meistern können, dafür aber Zentralasien für mich entdeckt. Die Region kommt in deutschen Medien kaum vor, also habe ich entschieden, zu bleiben. Das war eher eine pragmatische Entscheidung.

Vermissen Sie Deutschland? 

Ich bin kein Mensch, der Heimweh hat, ich sehe das ganz gelassen. In Berlin habe ich immer noch eine Wohnung, einen Hafen, in den ich mehrmals im Jahr zurückkehre. Ich bin jedenfalls nicht ausgewandert. Ich fühle mich in Deutschland zuhause, auch wenn ich die meiste Zeit im Ausland verbinge. Merkwürdigerweise wird mein Freundeskreis in Deutschland durch meine Arbeit in Zentralasien größer, weil ich mit vielen Menschen aus der deutschsprachigen Community Kontakt halte.

Was gefällt Ihnen in Zentralasien, was fehlt Ihnen?

Also in Deutschland lebt es sich ruhiger, das Sicherheitsgefühl ist höher. In Kasachstan ist man sich als Journalist immer bewusst, dass jemand weiß, wo man sich aufhält, und was man tut. Umgekehrt gibt es hier eine viel größere Offenheit gegenüber Fremden, zumindest gegenüber westlichen Ausländern. Dadurch bin ich selbst offener geworden. In Berlin komme ich mir immer sehr abgeschätzt vor, verspüre einen Druck, dass man irgendwohin passen muss. Das habe ich in Zentralasien überhaupt nicht. Die Leute begegnen mir immer mit großer Neugier, das macht mir die Arbeit leicht.

Was für ein Bild haben denn Ihre Freunde von Zentralasien, beziehungsweise welche Klischees beobachten Sie in Deutschland?

Naja, meine Freunde und Verwandten kennen die Region mittlerweile durch meine Erzählungen (lacht). Ansonsten denken viele erstmal an unruhige Länder wie Afghanistan. Das trifft einfach nicht zu, das sind zivilisierte Länder hier. Bloß werden sie allesamt autoritär geführt. Unsere demokratischen Maßstäbe spielen hier keine Rolle. In Kasachstan ist die Lage gerade so angespannt, wie ich es noch nie erlebt habe, das Regime reagiert auf Monate lange Proteste sehr repressiv. Damit werden außenpolitische Erfolge Kasachstans, die es tatsächlich gibt, völlig zunichte gemacht. Das ist unglaublich schade.

Kann man die zentralasiatischen Länder denn über einen Kamm scheren?

Überhaupt nicht, die Unterschiede sind viel zu groß. Usbekistan ist das Land, aus dem gerade am meisten Positives berichtet werden kann. Das Land öffnet sich, da passiert wirtschaftlich gerade wahnsinnig viel. Auch Kirgistan ist sehr beweglich, junge Leute haben dort die Möglichkeit, eigene Unternehmen aufzubauen. In Turkmenistan dagegen wird selbst normalen Touristen das Visum verwehrt, das ist ein abgeschlossenes Land.

„Die zentralasiatischen Länder haben nach dem Ende der Sowjetunion erst einmal eine eigene Identität finden müssen.“

Nach der Unabhängigkeit im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion haben die Länder erst einmal den Fokus darauf gelegt, eine eigene Identität zu entwickeln. Jahrzehntelang waren die Länder wirtschaftlich sehr verbunden: Tadschikistan und Kirgistan liegen an den Oberläufen der Flüsse und damit an den Wasserquellen, haben aber keine großen Energieressourcen. Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan verfügen dafür über Öl und Gas und die großen landwirtschaftlichen Flächen, die bewässert werden müssen. Zu Sowjetzeiten hat man kooperieren müssen, von dieser oktroyierten gegenseitigen Abhängigkeit hat man sich verabschiedet.

Kasachstan hat sich als erstes Land den Investoren geöffnet und wird heute international als am meisten entwickeltes Land der Region wahrgenommen, auch wenn viel Geld bei den Eliten hängen geblieben ist. Zu Sowjetzeiten war ganz klar Usbekistan das industriell und intellektuell stärker entwickelte Land in Zentralasien, das seit der Unabhängigkeit an Bedeutung verloren hat. Diese Konstellation kann sich aber auch wieder ändern.

Sollte man in die Region fahren, um sich ein Bild zu machen?

Da bin ich grundsätzlich dafür. Ich reise als Frau seit 15 Jahren alleine durch die Region und habe nie eine negative Erfahrung gemacht. Die Leute sind sehr offen. Am einfachsten ist es wohl, mit Kirgistan anzufangen. Dort ist es gut gelungen, einen Tourismus aufzubauen, der auch westlichen Ansprüchen genügt. In den anderen zentralasiatischen Ländern ist er eher unterentwickelt. Die Veranstalter erwarten sich immer gleich das große Geld und sind dann schnell enttäuscht. Der Wille, erst einmal kleine Schritte zu gehen, fehlt oft. Und man sollte beachten, dass man mit Englisch nicht weit kommt. Man sollte also Russisch können, oder Türkisch, weil in vier der fünf Länder hier eine Turksprache gesprochen wird. Allerdings wird das mit dem Englisch langsam besser, weil die Länder das zur Priorität erhoben haben.

Warum ist die Region für Deutschland wichtig?

Ich bin davon überzeugt, dass Zentralasien eine Art Vermittlerfunktion zwischen dem Westen und der muslimischen Welt haben kann. In den zentralasiatischen Ländern wird ein pragmatischer Islam gepflegt, der politische Islam hat bisher keine Chance. Die Staaten sind säkular, was auch immer wieder betont wird. Die Kultur ist also einerseits muslimisch, andererseits durch 70 Jahre Sowjetunion von Russland und damit auch durch den Westen geprägt. Ich hoffe, dass man dieses Potential erkennt und der Region auch zugesteht.

„Europa droht, das ihm entgegengebrachte Wohlwollen zu verlieren. Wir unterschätzen oft, wie sehr wir geschätzt werden.“

Wie sehen Sie den Einfluss Chinas und Europas in Zentralasien?

Die Region ist eine Transitregion zwischen dem Westen und China, das gerade an der Neuen Seidenstraße arbeitet. Die zentralasiatischen Länder wollen davon profitieren, China hat schon seinen Fußabdruck hinterlassen, beziehungsweise steht mit einem sehr großen Fuß mitten in der Region. Europa sollte sich fragen, ob es das zulassen will. Oder ob es dort wirtschaftlich, politisch und sozialökonomisch nicht viel präsenter sein will, um dieses Wohlwollen, das uns jahrzehntelang entgegengebracht wurde, nicht zu verlieren.  Europa war lange Zeit das Ziel der Träume und Wünsche, aber dieser Nimbus schwindet langsam. Die Leute orientieren sich immer mehr nach China, Südostasien oder Südkorea.

Warum ist das so, was sollte getan werden?

Europas gerade im Mai verabschiedete neue Zentralasienstrategie ist sehr wenig konkret. Vor ein paar Wochen war EU-Ratspräsident Donald Tusk zu Besuch in der Region. Sein Auftritt war Europas nicht würdig. Zwar heißt es im offiziellen Strategiepapier, man wolle die Zivilgesellschaft stärken, aber dann erwähnt Tusk die außergewöhnlichen Protestbewegungen in Kasachstan mit keinem Wort. Auch den tadschikischen Präsidenten lobte er über den Klee, ohne auch nur ansatzweise die Menschenrechtslage zu erwähnen. Da fehlen einem die Worte.

Man sollte den Leuten in der Region die Möglichkeit geben, in Deutschland zu studieren oder sich einen Job zu suchen. So viele hochmotivierte, unheimlich gut ausgebildete junge Menschen hier sagen mir: „Ihr macht es uns so schwer, nach Europa zu kommen“. Wir dürfen nicht unterschätzen, wie hoch wir dort geschätzt werden, so gut bewerten wir uns oft selbst gar nicht.

Frau Schlager, ich danke für dieses Gespräch.