Aufbruch in Usbekistan: Bereit für Reformen?

© Deutschlandfunk Kultur, Weltzeit, 24.08.2019, 20 min, Edda Schlager

Bis vor Kurzem war Usbekistan abgeschottet und wurde repressiv regiert. Ist die stark patriarchale Gesellschaft bereit für einen Aufbruch? Ja – glaubt zumindest der Präsident des Landes, Shavkat Mirziyoyev.

Der Registan im usbekischen Samarkand. Hunderte Menschen sind auf dem Platz unterwegs – ein Karree, von drei mittelalterlichen Koranschulen begrenzt. Türkisfarbene Kuppeln, Minarette und hohe, kunstvoll glasierte Eingangsportale bilden das weltberühmte orientalische Ensemble. Die alte Seidenstraße, die einst Asien mit Europa verband, hier ist sie noch lebendig. – Auch wenn die modernen Reisenden mit Handys, Selfie-Sticks und Regenschirmen ausgerüstet sind.

Zwischen westlichen Touristen – erkennbar an teuren Kameras und Funktionskleidung – tummeln sich viele Usbeken und genießen lautstark und fröhlich den freien Tag. Frauen in langen, bunten Kleidern, Männer mit grauen Anzügen oder Mänteln und eckigen, schwarz-weißen Kappen auf dem Hinterkopf.

40.000 Sum Eintritt seien fällig, um den Registan zu betreten, erklärt ein Polizist in grüner Uniform. Umgerechnet vier Euro. Mit verschlossener Miene sorgt er dafür, dass keiner ohne Ticket an ihm vorbeikommt – hat aber gleichzeitig noch ein Angebot:

Ein Land zwischen Tradition und Aufbruch – Usbekische Frauen auf dem Registan in Samarkand.

„Ich gebe Ihnen Rabatt, für Sie nur 30.000 Sum.“

Etwas günstiger soll es für den Gast aus Europa sein. – Natürlich verkauft der Polizist kein offizielles Ticket. Bei Ausländern versucht er einfach, sich ein paar Sum auf eigene Rechnung dazuzuverdienen.

Diktatur und Korruption – angeblich überwunden

Das ist sicher nicht der Eindruck, den die Offiziellen in Usbekistan ihren Gästen vermitteln wollen. – Korrupte Behörden, repressive Sicherheitskräfte, ein Geheimdienst, der das Land fest im Griff hat, und vor allem ein brutaler Diktator, der sich seiner Gegner durch Folter und Jahrzehnte lange Haftstrafen entledigte. Das soll Vergangenheit sein, stattdessen ein neuer Aufbruch.

Denn Usbekistan, ein Land mit 33 Millionen Einwohnern im Herzen Zentralasiens, macht seit zweieinhalb Jahren rasante Veränderungen durch. Im September 2016 war Islam Karimov gestorben. Der hatte als einer der schlimmsten Diktatoren weltweit gegolten. Seit dem Ende der Sowjetunion an der Macht hatte Karimov das Land wirtschaftlich und politisch abgeschottet, ein immer repressiver werdendes  Regime aufgebaut. Leise Kritik konnte in Jahrzehnte langer Haft enden. Regimegegner wurden ermordet oder gebrochen, Familien zerstört.

Nach dem Tode Karimows war dessen ehemaliger Premierminister Shavkat Mirziyoyev zum neuen Präsidenten gewählt worden. Und seit seinem Amtsantritt im Dezember 2016 hat Mirziyoyev dem Land eine ungeahnte Fülle an Reformen verordnet. Usbekistan öffnet sich wirtschaftlich, und langsam auch politisch.

Offen für Touristen und ausländische Investoren

Einer, der davon profitiert, ist Oybek Ostanov. Der Mittdreißiger betreibt in Samarkand ein Reisebüro mit zwölf Angestellten. Er kann sich vor Anfragen kaum retten, viele aus Deutschland, denn er hat die deutsche Sprache fast bis zur Perfektion gelernt.

„Ich hätte wahrscheinlich vor sechs, sieben Jahren diese Firma gar nicht gegründet. Es sind sehr viele Probleme gewesen – allein die Hartwährung.“

Usbekistan hatte bis 2017 einen offiziellen Wechselkurs zum Dollar, der künstlich niedrig gehalten wurde, die Konvertierung war streng reglementiert. Wenn internationale Unternehmen in Usbekistan Profite machten, durften sie diese nicht in Euro oder Dollar tauschen. Umgekehrt verlor man bei Gewinnen in ausländischer Währung deutlich beim Umtausch in usbekische Sum.

Offiziell sollen vergangenes Jahr drei bis vier Millionen Touristen Usbekistan besucht haben. Doch Ostanov hält die Zahlen für weit übertrieben. Maximal 200.000 internationale Touristen hätten seiner Meinung nach im Jahr 2018 Usbekistan besucht. Und viel mehr, so sagt der Usbeke, könne das Land derzeit auch gar nicht verkraften.

Oybek Ostanov hat ein Reisebüro in Samarkand gegründet, sieht den rasanten Aufbruch im Tourismus aber auch skeptisch.

„Es ist verdammt schwer, spontan Hotels zu buchen. Wir müssen für unsere Gäste schon ein Jahr im Voraus die Hotels buchen, sonst gibt es keine Möglichkeit, die guten Hotels, mit denen wir zusammenarbeiten, rechtzeitig zu reservieren. Und das ist der Nachteil dieser Freiheit, dass wir noch nicht ganz vorbereitet sind. Die Infrastruktur für Massentourismus ist in Usbekistan noch nicht da.“

Reformen – einmalig in der Geschichte Usbekistans

Die Ambitionen des usbekischen Präsidenten sind enorm. Seit 2017 hat er dem Land eine Reihe wirtschaftlicher Reformen verordnet, die in der Geschichte des Landes einmalig sind. Mirziyoyev will den Außenhandel liberalisieren, staatliche Betriebe privatisieren, Handelshemmnisse abbauen, Exporte und Importe deutlich erleichtern.

Dabei ist man sich auch innerhalb der Regierung bewusst, dass die Umsetzung all dieser Pläne nicht in kurzer Zeit machbar ist. Laziz Kudratov, Vizeminister für Investitionen und Außenhandel, zeigt auf, wo es wirtschaftlich hingehen soll.

„Wir kennen unsere Schwächen, arbeiten aber gezielt daran, Barrieren abzubauen. Der Präsident hat die sehr ambitionierte Aufgabe gestellt, dass Usbekistan im Jahr 2022 zu den Top 20 Ländern im Doing Business Ranking gehören soll. Deshalb versuchen wir, Bedingungen zu schaffen, in denen sich Investoren wohlfühlen. Das Wichtigste ist, der politische Wille ist da.“

Der Doing Business Index, auf den sich der Vizeminister bezieht, wird jährlich von der Weltbank erstellt. Er gilt als aussagekräftigster Wert dafür, wie hoch das Risiko für Investoren in einem Land ist und wie vertrauensvoll ein Land in Sachen Wirtschaft für internationale Partner ist.

Derzeit liegt Usbekistan auf Platz 76 von 190 Ländern. Noch zum Ende der Karimow-Ära hatte es weit hinten gelegen. Die internationale Geschäftswelt schätzt die Reformen also als durchaus positiv ein. Der Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International hingegen sieht Usbekistan deutlich kritischer. Platz 158 von 180 ist einer der hintersten Ränge.

„Der Staat muss sich selbst reformieren“

In der Nähe des Gagarin-Denkmals in Taschkent an einer belebten Straße. Hier hat Yuliy Yusupov sein Büro. Er betreibt das unabhängige Zentrum für wirtschaftliche Entwicklung, arbeitet für die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. – Korrupte Behörden und staatliche Einmischung sind für Yusupov nach wie vor die größten Reformbremsen in Usbekistan.

„Um das Problem der Korruption zu lösen, brauchen wir administrative Reformen, ein paar Sachen werden zwar schon getan, aber die Funktion des Staates wird leider noch nicht radikal genug in Frage gestellt. Der Staat muss sich selbst reformieren. Jemand anderen anzuweisen, sich zu ändern, das ist einfach, sich aber selbst zu reformieren, ist deutlich schwieriger.“

Von Demokratie, so Yusupov, sei Usbekistan noch weit entfernt.

„Schnell eine zivilisierte, demokratische Gesellschaft aufzubauen, ist in Usbekistan nicht möglich, weil die staatlichen Institute nicht funktionieren. Formal gibt es zwar ein Parlament, aber das erfüllt seine Funktionen nicht. Es ist nur Fassade. Ein unabhängiges Rechtssystem gibt es auch nicht. Damit dies zum Leben erweckt wird, braucht man Zeit.“

Wirtschaftlich, so sagt Yusupov, habe Mirziyoyev keine Wahl. Die Bevölkerung in Usbekistan wächst rasant. Mehr als die Hälfte der Bewohner sind unter 30. Eine berufliche Perspektive sehen viele nur im Ausland. Usbekistan lebt zum großen Teil von Rücküberweisungen seiner Arbeitsmigranten in Russland, der Türkei oder in Kasachstan. Das Land braucht also dringend Investoren, um die Wirtschaft zu modernisieren. 

Wirtschaftswissenschaftler Yuli Yussupov: „Schnell eine zivilisierte, demokratische Gesellschaft aufzubauen,
ist in Usbekistan nicht möglich, weil staatliche Institute nicht funktionieren.”

Wirtschaftlich, so sagt Yusupov, habe Mirziyoyev keine Wahl. Die Bevölkerung in Usbekistan wächst rasant. Mehr als die Hälfte der Bewohner sind unter 30. Eine berufliche Perspektive sehen viele nur im Ausland. Usbekistan lebt zum großen Teil von Rücküberweisungen seiner Arbeitsmigranten in Russland, der Türkei oder in Kasachstan. Das Land braucht also dringend Investoren, um die Wirtschaft zu modernisieren.

Politische Gefangene aus der Haft entlassen

Politisch dagegen fällt es Mirziyoyev schwer, sich von staatlicher Kontrolle zu verabschieden. Zwar wurde in den vergangenen Jahren ein Großteil verhafteter Regimegegner entlassen, darunter Journalisten, Politiker oder einfache, des religiösen Extremismus verdächtige Bürger. Erst jüngst wurden zahlreiche blockierte Webseiten entsperrt. Die Regierungsmannschaft Karimows ist zum großen Teil ausgetauscht. Aber das Misstrauen ist groß.

In einem Cafe in Taschkent. Während der Journalist Bobomurod Abdullajew seinen Kaffee trinkt, erzählt er, dass er dem neuen Regime noch nicht wirklich traue. Der 46jährige war Ende 2017 verhaftet worden. Da war Mirziyoyev schon rund ein Jahr im Amt war. Abdullajew hatte 15 Jahre lang unter Pseudonym regimekritische satirische Texte veröffentlicht. Dann wurde er verraten. Weil er angeblich einen Regierungsumsturz geplant habe.

Er ist überzeugt, dass es auf staatlicher Ebene nach wie vor Interessengruppen gibt, die tiefgreifende politische Veränderungen verhindern wollten.

„Viele sagen, dass die alten Eliten den Präsidenten diskreditieren wollen – er soll vor den Leuten dastehen als jemand, der nur verspricht, aber das komplette Gegenteil tut. Ich denke auch, dass die alten Sicherheitskräfte die Entscheidungen des Präsidenten boykottieren auf vielen Ebenen. Man könnte diese Leute bestrafen – aber das passiert eben auch nicht.“

Karimows Geist im Staatsapparat noch lebendig

Bis heute vermeidet Präsident Mirziyoyev, das Führungspersonal aus der Karimow-Zeit politisch zur Verantwortung zu ziehen. Er selbst gehörte als ehemaliger Premierminister schließlich selbst dazu. Wenn dies doch einmal passiert, ist oft nicht klar, ob politischer Wille zur Aufarbeitung dahinter steht oder persönliche Rache. So meldete Human Rights Watch in diesem Jahr, dass der ehemalige Generalstaatsanwalt, der wegen Erpressung, Machtmissbrauchs und Unterschlagung angeklagt ist, gefoltert worden sei.

Auch Bobomurod Abdullajew wurde gefoltert. In der Haft hat er erlebt, wie die staatlichen Sicherheitsbehörden noch vom alten repressiven Geist des Karimow-Regimes durchsetzt sind.

Karimov-Denkmal in Samarkand

„Die Sicherheitskräfte sabotieren die Politik. Beim Verhör haben die mir gesagt, hier, schau, das Portrait von Karimow hängt immer noch. Ich fragte, vielleicht habt ihr kein Geld. Aber die sagten, nein, erst setzen wir unseren eigenen Präsidenten ein und dann kommt ein neues Bild. Als ich das vor Gericht erzählte, hat das keiner geglaubt.“

Abdullajew ist überzeugt, dass es heute deutlich mehr Pressefreiheit in Usbekistan gebe, auch er traue sich, offener über Probleme zu schreiben. Sieben Monate nach seiner Verhaftung kam er im Mai vergangenen Jahres frei – auch weil sich internationale Organisationen für ihn eingesetzt hatten. Dass man ihn nach wie vor überwacht, hält er trotzdem für wahrscheinlich.

Plötzlich, während des Interviews, öffnet ein junger Mann die Tür, schaut hinein und fragt den Journalisten etwas. Nach wenigen Sekunden ist er wieder draußen. Abdullajew findet das verdächtig.

„Wir können jetzt nur raten. Aber was mich stutzig gemacht hat, ist, dass der uns gefragt hat, ob wir Strom haben. Und ich glaube, er hatte eine Kamera in der Hand, die auf mich gerichtet war. Ich schließe nicht aus, dass er geschickt wurde, um uns zu kontrollieren, denn wir haben ja Strom.“

Abdullajew geht recht gelassen mit der Situation um. Er hat keine Angst mehr vor Konfrontationen. Auch, weil er darauf setzt, dass sich die Rechtsstaatlichkeit in Usbekistan über kurz oder lang verbessern wird.

Von Demokratie noch weit entfernt

Der Menschenrechtler Surat Ikramov hat Abdullajew während seiner Haft betreut – wie er beim Gespräch in einem Taschkenter Park erzählt. Er leitet die Initiativgruppe unabhängiger Rechtsanwälte in Usbekistan. Auch er räumt ein, dass sich insbesondere die Lage für Journalisten etwas verbessert hat. Doch noch sei Usbekistan weit von demokratischen Maßstäben entfernt. Statt einer Diktatur habe man nun Autoritarismus, sagt Ikramov.

„Politiker und Staatsbeamte versuchen nach wie vor, auf Journalisten Druck auszuüben. Und all diese Anweisungen und Aufträge erfolgen mündlich. Ich frage oft, wer hat das denn angeordnet? Dann sagt mir so ein Polizist, das kam von oben. Ich rufe den Vorgesetzten an, und der sagt, ich habe nichts angeordnet. Das kann man vor Gericht natürlich nicht beweisen. Er streitet das einfach ab. Und so läuft das bis heute. Das ist das Elend in unserem Staat. Selbst die Behörden bekommen Anweisungen mündlich. Ich frag, warum bis du denn dahin – weil einer angerufen hat. – Geh doch da nicht hin, die sollen ein Papier schicken! Diese mündliche Kultur kann man nicht nachweisen. Und die Leute kennen ihre Rechte nicht.“

Tief verwurzelte Gender-Stereotype

Auch Irina Matvienko meint, dass viele Usbeken über ihre Rechte zu wenig informiert seien. Die junge Frau arbeitet als selbständige PR-Texterin. Sie hat ihr Büro in einem vierstöckigen Plattenbau. Neben ihrem Job will sie von hier aus das traditionelle Frauenbild in Usbekistan modernisieren.

„Die Rolle der Frau, das sind Familie und Zuhause, und der Mann sorgt fürs Einkommen. Diese Genderstereotypen werden schon von Geburt an gepflegt. Vor allem in konservativen, traditionellen Familien ist das stark ausgeprägt, und davon gibt es viele. Die machen das nicht speziell, um Frauen abzuwerten. Die Menschen wachsen einfach in so einem Wertesystem auf, und das ist für sie die Norm.“

Vor zwei Jahren hat Matvienko die Facebook-Seite „Ne molchi!“ aufgesetzt, zu Deutsch „Schweige nicht!“. Auf der Website veröffentlich Matvienko kurze Texte mit sehr persönlichen Geschichten, von Menschen, die Gewalt erfahren haben. Betroffene können ihr die Geschichten anonym zusenden. Und meist, so erzählt Matvienko, wäre dies das allererste Mal, dass Opfer sich über die erlebte Gewalt mitteilten.

„Natürlich lesen Frauen in entfernten Dörfern meine Artikel wahrscheinlich eher nicht. Aber eine gewisse kritische Masse versteht eben doch, dass Gewalt gegen Frauen nicht normal ist, und dass auch psychische Gewalt und Manipulationen nicht hinnehmbar sind.“

Häusliche Gewalt – immer noch ein Tabu

Fast 10.000 Follower hat die Website mittlerweile, und eine rege Community. Matvienko will Gewaltopfern zeigen, dass sie nicht allein sind, vor allem aber, dass rechtlicher Anspruch auf Strafverfolgung besteht.

„Es geht um das Bewusstsein der Frauen, dass man sich bei jeder Form der Gewalt an staatliche Organe wenden kann. Oft verläuft das im Sande. Da muss man sich dann weiter oben beschweren – und das funktioniert! Aber die meisten machen das eben nicht, und geben frustriert auf. Das heißt, man muss lernen, sein Recht einzufordern.“

Usbekistan arbeitet derzeit an einem Gesetz gegen häusliche Gewalt. Doch Matvienko glaubt, dass vor allem junge Frauen innerhalb der Familienstrukturen noch lange angreifbar bleiben werden.

Mavluda Irismetova, 32 Jahre alt, weiß genau, was Matvienko meint. – In einem wohlhabenden Bezirk der Hauptstadt Taschkent mit schmucken Eigenheimen versucht Mavluda an diesem Vormittag ihren vier Monate alten Sohn Kahramon schlafen zu legen.

Tapfer trotz Angst: Mavluda Irismetova mit ihrem vier Monate alten Sohn Kahramon.

Dass der Junge lebt, ist ein kleines Wunder. Denn während der Schwangerschaft war Mavluda zuhause überfallen und schwer verletzt worden. 16 Messerstiche in Oberkörper und Beine. Der Täter: Ihr Schwager, Bruder ihres Ehemannes. Wenn Mavluda von dem Verbrechen erzählt, muss sie immer wieder weinen. Ihre damals vierjährige Tochter war dabei und konnte dem Griff des Täters nur knapp entkommen.

Der Grund für die Tat: Mavluda hatte zunächst mit ihrem Mann bei dessen Eltern gewohnt. Weil es ständig Streit mit der Schwiegermutter gegeben hatte, waren sie schließlich ausgezogen – auf Mavludas Betreiben. Doch die Unabhängigkeit der jungen Familie passte der Schwiegermutter nicht. Ihr Mann, so Mavluda, habe sie auch nicht verteidigt.

Gewalt gegen Schwiegertöchter ist normal

Dass die Situation jemals so eskalieren könnte, hat sie nicht erwartet. Doch überrascht war sie nicht. In Usbekistan, sagt Mavluda, sei Gewalt gegen Schwiegertöchter gang und gäbe. Anstatt die Taten ahnden zu lassen, schweigen die Familien. Um die Täter zu schützen, und aus Angst vor öffentlicher Schande. Mavluda wollte nicht schweigen. Mit Hilfe von Irina Matvienko ging sie an die Öffentlichkeit.

„Wie viele will man denn zuhause noch abstechen lassen, dass der Staat die Taten der Schwiegermütter endlich strafrechtlich verfolgt? Warum denken die Schwiegermütter bei uns, dass sie alles dürfen? Wer hat ihnen das Recht gegeben? Wer hat den Ehemännern das Recht gegeben, die Mütter ihrer Kinder zu erniedrigen?“

Bis heute ist Mavluda mit ihrem Mann verheiratet, obwohl sie sich längst scheiden lassen wollte. Das Familiengericht hatte ihrem Antrag nicht stattgegeben – es lägen keine Gründe für die Scheidung vor. Mit ihren beiden Kindern lebt Mavluda jetzt bei ihren Eltern, ihr Mann bei seinen. – Ihr Schwager wurde im Februar zu 15 Jahren Haft verurteilt. Doch Mavluda traut dem Urteil nicht, und auch nicht dem Rechtssystem.

„Mein Staat wird mich nie schützen, es gibt keinen juristischen Schutz vor diesem Menschen. Ich weiß, dass er vollenden will, was er nicht vollendet hat. Im Gerichtssaal hat er gegrinst, er ist sicher, dass sein Vater ihn rausholen wird.“

Deshalb ist Mavluda auch überzeugt, dass ihr Land nicht bereit sei für politische Reformen und einen Aufbruch, wie ihn der Westen erwartet. Es sei nach wie vor eine Gesellschaft, in der Verbrechen nicht geahndet und Täter geschützt werden.

„Diese Familie ist das wahre Gesicht unserer Gesellschaft, das ist genau dieses System, das faul ist. Ja, wir haben einen neuen Präsidenten. Aber der ist ja genauso, er hat alle Posten mit seiner Familie besetzt. Natürlich können wir in Europa mit unseren Plakaten stehen und Menschenrechte für unser Land einfordern, für Frauen, für Schwule. – Aber leiden müssen wir hier bei uns.“

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