Tengri (In-Flight-Magazin von Air Astana), 02-2008

In der Steppe rund um den Tengiz-See brüten jedes Jahr die seltensten Vögel Kasachstans. Einer von ihnen ist der Steppenkiebitz (Engl.: Sociable Lapwing, Russ: кречотка). Ornithologen ist es gelungen, dem Vogel ein paar seiner Geheimnisse zu entlocken.

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Einen Feldstecher vor den Augen und das Walkie-Talkie am Mund sitzt Maxim Koschkin in einem Lada Niva. Neben dem Jeep, ebenfalls mit Walkie-Talkie, steht Albert Salengarejew und starrt wie sein Kollege gespannt nach vorn.

Hundert Meter vor ihnen staken zwei Vögel durch Wermut-Büsche, schwarz-grau-weiß, etwas kleiner als Hühner, mit langen Beinen und dünnen Schnäbeln. Immer wieder schauen die Vögel misstrauisch zum Jeep herüber. Dann ruft Koschkin plötzlich „Los!“, und Salengarejew rennt, so schnell er kann, auf die Vögel zu. Die schwingen sich sofort in die Luft und flattern aufgeregt, ein heiseres „kretsch-kretsch“ rufend, hin und her. Anstatt davonzufliegen, attackieren sie Salengarejew, stürzen immer wieder im Sturzflug knapp an ihm vorbei.

[inspic=298,,fullscreen,300]„Stopp!“ ruft Koschkin jetzt durch das Funkgerät, „langsamer!“ Salengarejew wechselt sofort das Tempo und geht vorsichtig weiter. „Weiter links,“ kommandiert Koschkin, per Funk, „noch weiter … ja, genau dort … warte, ich komme.“ Dann springt er selbst aus dem Niva, greift sich einen Werkzeugkoffer und läuft zu seinem Kollegen.

Die beiden jungen Männer sind Ornithologen, und ihr Forschungsobjekt sind ein paar der seltensten Vögel, die es in Kasachstan gibt: Steppenkiebitze. Noch vor zwei Jahren glaubte man, es gäbe nur noch 200 Paare dieser Art. Doch mittlerweile sind die Forscher überzeugt, es müssen mindestens 4.000 sein – irgendwo versteckt in den Weiten der kasachischen Steppe, denn nur hier finden die Vögel noch die richtigen Bedingungen zum Brüten.

Korrigiert wurde die falsche Schätzung dank der Arbeit von Koschkin und Salengarejew, die für ACBK, eine der größten Naturschutz-Organisationen Kasachstans arbeiten. Seit vier Jahren sind die kasachstanischen Ornithologen – finanziert durch die britische Royal Society for the Protection of Birds (RSPB) und die Darwin Initiative – während der Sommermonate unterwegs und registrieren Steppenkiebitz-Kolonien. Alle Vögel, die sie fangen können, werden beringt – und natürlich wieder freigelassen. So kann man später auch im Winterquartier der Vögel, in Syrien oder Ägypten, erkennen, dass sie aus Kasachstan stammen.

In der Nähe des Seengebiets am Tengiz haben die Ornithologen in diesem Jahr etwa 130 Steppenkiebitz-Nester gefunden, stets in der Nähe von kleineren Dörfern, aber mit einem Sicherheitsabstand von ein paar Kilometern. Die Nähe des Menschen suchen die seltenen Vögel deshalb, weil das Vieh der Dorfbewohner das Steppengras kurz hält. Denn die Kiebitze sind gemeinsam mit Saiga-Antilopen, Kulanen und Kropf-Gazellen (English: Goitered Gazelle) in Kasachstan heimisch geworden und deshalb auf Weidetiere angewiesen – abgeweidetes Steppengras ist lebenswichtig für die Vögel. Steht das Gras zu hoch, brüten die Vögel nicht. Weil die natürlichen Weidetiere der Steppe fast ausgestorben sind, sind die Steppenkiebitze ausgewichen und brüten nun in der Nähe von Dörfern.

Koschkins und Salengarejews „Überraschungsangriff“ in der Steppe galt einem „Kindergarten“ von Steppenkiebitzen – zwei Weibchen und ihre Jungen. Dass Salengarejew den Kindergarten aufgestört hat, als er plötzlich auf die Vögel zurannte, ist für die Vögel ungefährlich – so imitieren die Ornithologen eine für die Vögel völlig natürlich Situation. Droht Gefahr, warnen die Kiebitzmütter ihre Kinder und fliegen selbst aufgeregt in der Luft herum, um den Feind abzulenken. Die Küken pressen sich sofort fest an den Boden, anstatt wegzulaufen. Nur so hatten Koschkin und Salengarejew eine Chance, an die Jungen heranzukommen. Die Wissenschaftler gehen bei solchen Aktionen sehr behutsam und konzentriert vor, um die Vögel möglichst wenig zu beeinträchtigen.

Die beiden haben einen geübten Blick für die jungen Kiebitze – perfekte Tarnung hilft da kaum. Nach und nach sammeln sie fünf Küken ein. Koschkin holt aus seinem Werkzeugkasten Lineal, Schiebelehre (Eng: Caliper) und Briefwaage und vermisst die Jungen – Fuß- und Schnabellänge, Gewicht, und über den Anteil von Daunen und Federn bestimmt Koschkin das Alter. „Zwei Wochen,“ schätzt er hier.

Die Küken bekommen ihre lebenslange Markierung – je zwei Plastikringe in unterschiedlichen Farben an jedes Bein, in einer einmaligen Kombination. Als die Prozedur beendet ist, setzten die Ornithologen die Jungen wieder auf den Boden und kehren zum Auto zurück. Sobald sie weit genug entfernt sind, landen die Mütter der jungen Steppenkiebitze und rufen ihre Jungen wieder zusammen – alle sind unbeschadet.

Für Koschkin und Salengarejew ist diese Arbeit ein in Erfüllung gegangener Traum. Beide sind in der Steppe aufgewachsen. Koschkin, 25, braungebrannt und mit Dreitagebart, ist eigentlich Englischlehrer, doch Vögel sind seine Leidenschaft. Jahrelang half er als Freiwilliger bei kleineren Projekten mit, bis man ihm bei ACBK eine Stelle als Projektleiter anbot. „Den ganzen Sommer in der Steppe, die Nächte im Zelt, das ist der ideale Arbeitsplatz,“ sagt er. Und an den Vögel liebt er besonders, „dass man nie weiß, was sie als nächsten tun.“

Salengarejew dagegen ist noch Student, Biologie, drittes Studienjahr. Er wünscht sich, später in einem Naturschutzgebiet in Kasachstan zu arbeiten. „Einen Büro-Job, selbst wenn er gut bezahlt ist, brauche ich nicht,“ sagt er, „aber eine Arbeit, die Spaß macht.“ Auch in seiner Heimat im Kustanaj-Oblast im Norden Kasachstans gibt es vermutlich noch ein paar der seltenen Steppenkiebitze. „Vielleicht,“ so hofft er, „kann ich ja dort im nächsten Jahr die ersten Kolonien finden.“

Der Artikel in Englisch und Russisch zum Download: 1,2 MB aus Tengri (In-Flight-Magazin von Air Astana)