Machtkampf in Kirgistan

von © SRF 4, Rendez-vou, 08.08.2019, 5 min

Ein Machtkampf in Kirgistan ist offen aufgebrochen – zwischen dem amtierenden Präsidenten Sooronbai Jeenbekov und dessen 2017 in freien Wahlen abgewählten Vorgänger Almasbek Atambajew.

Am 7. August hatte Jeenbekov den Ex-Präsidenten Atambajew in seiner Residenz Koy-Tash nahe Bischkek verhaften lassen wollen. Der Versuch der staatlichen Sicherheitskräfte, das Anwesen zu stürmen, endete in wüstem Chaos und der Geiselnahme von Polizisten durch rund eintausend Anhänger Atambajews. Ein Polizist starb, mehrere Dutzend Menschen wurden verletzt.

Atambajew konnte sich zunächst der Verhaftung widersetzen, wurde jedoch am Folgetag festgenommen. Ihm war im Juni durch das kirgisische Parlament Zhogorku Kenesh die Immunität entzogen worden. Atambajew musste seitdem mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen und wird sich jetzt vor Gericht verantworten müssen.

Machtkampf zwischen Ex- und aktuellem Präsidenten

Hintergrund der Vorgänge ist ein Machtkampf in Kirgistan, der sich seit den Präsidentschaftswahlen im Oktober 2017 vor den Augen der Öffentlichkeit abspielt. Jeenbekov war von seinem Parteifreund und politischen Ziehvater Atambajew – beide gehörden der Sozialdemokratischen Partei Kirgistans SDPK an – als Marionette eingesetzt worden. Doch Jeenbekov emanzipierte sich schnell von Atambajew und setzte eine eigene politische Agenda. Die bestand zunächst darin, Anhänger Atambajews aus Regierungsämtern zu entlassen. So trennte sich Jeenbekov im April 2018 von Premierminister Sapar Isakov, im Juni desselben Jahres wurde Isakov verhaftet. Ihm werden Korruption und Veruntreuung vorgeworfen.

Isakov war in das Vergabeverfahren rund um die Rekonstruktion des Wäremekraftwerks Bischkek verwickelt, bei dem das chinesische Unternehmen TBEA gewann. Im Januar 2018 war das frisch rekonstruierte Kraftwerk mehrere Tage ausgefallen, Zehntausende hatten in Bischkek bei niedrigsten Minustemperaturen Tage lang ohne Wärmeversorgung und Strom ausharren müssen.

Vorwürfe gegen Atambajew

Auch Atambajew ist in den Kraftwerksskandal verwickelt. Dies ist nur einer der Punkte, die ihm jetzt zur Last geworfen werden. Auch seine Millionen schweren Besitztümer und Unternehmensanteile stehen zur Disposition. Woher Atambajews Reichtum stammt – er selbst bezeichnet sich als Multimillionär – wurde nie umfänglich geklärt.

Offiziell will Jeenbekov mit Atambajews Verhaftung zeigen, dass Kirgistan ein demokratischer Rechtsstaat ist. Tatsächlich ist der Machtkampf in Kirgistan jedoch ein Konflikt, der das Land auch langfristig destabilisieren könnte. Sowohl Jeenbekov als auch Atambajew ist in der Lage, Tausende Anhänger zu mobilisieren, und stark daran interessiert, bestehende eigene Machträume zu erhalten und auszubauen. Das Image der “Insel der Demokratie in Zentralasien”, das Kirgistan im Westen hat, ist nicht nur durch diesen offenen Machtkampf beschädigt. Tatsächlich hat Kirgistan es bereits in den vergangenen versäumt, wichtige politische und wirtschaftliche Reformen umzusetzen.

SRF 4 hat mit mir über die aktuelle Lage in Kirgistan gesprochen. SRF 4, Rendez-vous, 08.08.2019