Obwohl die zentralasiatischen Staaten an China und den Iran grenzen, wo das Corona-Virus früh auftrat, melden nur Kasachstan, Usbekistan und Kirgistan Fälle von Corona-Infizierten. Tadschikistan und Turkmenistan sind angeblich virusfrei. Das ist unglaubwürdig. Eines haben die fünf Staaten gemeinsam: Die autoritären Regime fürchten, der Pandemie und ihrer Konsequenzen nicht Herr zu werden. Denn die wirtschaftlichen und sozialen Folgen könnten alle Regime politisch destabilisieren.

Das Corona-Virus in Zentralasien: Lange ein weißer Fleck

Zentralasien gehört zu den Regionen, die zunächst nicht von der Pandemie betroffen zu sein schienen. Bis März waren die fünf Länder noch ein weißer Fleck auf der Weltkarte der Corona-Infektionen. Erst am 13. März gab Kasachstan die ersten zwei Fälle bekannt: zwei kasachstanische Staatsbürger, die am 9. und 12. März aus Deutschland eingereist waren, wurden positiv auf das Corona-Virus getestet.[1] Am 15. März folgte die erste bestätigte Infektion in Usbekistan[2] und am 18. März die erste in Kirgistan.[3] Bis zum heutigen Tag gibt es in Tadschikistan und Turkmenistan keine Infektionen mit Covid19  – zumindest nach offiziellen Angaben der Regierungen.[4]

Die Situation mutet umso erstaunlicher an, als drei der fünf zentralasiatischen Länder, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan, eine Grenze mit China teilen. Turkmenistan grenzt an den Iran und hat enge wirtschaftliche Verbindungen zur Türkei – beides Länder, die von der Pandemie stark betroffen sind. Für alle fünf Länder ist China einer der wichtigsten Wirtschaftspartner, zu dem rege Verbindungen bestehen. Tausende Studenten aus Zentralasien leben in China, Hunderte chinesischer Unternehmen sind mit eigenen Mitarbeitern in Zentralasien aktiv.

Späte Reaktion

Doch erst nach Bekanntgabe der ersten Infektionsfälle in Zentralasien begannen die Länder, Maßnahmen zu ergreifen, um die Verbreitung des Virus einzudämmen. Sie verhängten Grenzschließungen, Einreisebeschränkungen und stellten Flugverbindungen ein. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus Zentralasien längst vor den ersten offiziell bestätigten Fällen erreicht haben könnte, ist durchaus hoch.

Offenbar benötigten die Regierungen eine gewisse Zeit für die Entscheidung und die logistische Vorbereitung, über die Infektionen öffentlich zu berichten und Gegenmaßnahmen einzuleiten. Diese „organisierte Realität“ sollte vermutlich den Anschein erwecken, die Pandemie beherrschen zu können und die Lage unter Kontrolle zu haben. Doch wie gehen die Staaten Zentralasiens mit der Coronakrise um?

Kasachstan: Der Vorreiter

Kasachstan kann trotz zögerlicher Reaktion auf die Pandemie als der Vorreiter beim Umgang mit dem Corona-Virus gelten. Kasachische Medien hatten seit dem Ausbruch im chinesischen Wuhan über die sich anbahnende Pandemie berichtet. Erste Gesetze zum Umgang mit der Pandemie wurden bereits Anfang Januar verabschiedet, so Regelungen, wie Behörden auf Infektionsfälle reagieren sollten oder wie die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) umzusetzen seien.[5]

Anfang März gab das kasachische Gesundheitsministerium bekannt, dass mit ersten in Kasachstan nachgewiesenen Infektionsfällen Mitte März zu rechnen sei.[6] Tatsächlich wurde am 13. März der erste Fall gemeldet. Eingeschleppt wurde das Virus demnach aus Europa, nicht aus dem benachbarten China. Offenbar ist das Corona-Virus politisch so korrekt, dass es Kasachstans zweitwichtigsten Wirtschaftspartner China nicht vor den Kopf stoßen wollte.

Ende März prognostizierte das Gesundheitsministerium, dass Kasachstan Schätzungen eigener Epidemiologen zufolge maximal 3500 Fälle infizierter Menschen zu erwarten habe und mit dem Höhepunkt der Neuerkrankungen Mitte April zu rechnen sei. Ende April, während diese Zeilen entstehen, steigen die täglich vom Gesundheitsministerium genannten Zahlen bestätigter Infektionen und an Covid-19 verstorbener Menschen weiter an.[7]

Notstand, Quarantäne und Krisenhilfe

Nur zwei Tage nach der ersten bestätigten Infektion ordnete Präsident Kasym-Žomart Tokaev per Präsidentenerlass an, ab 16. März den Ausnahmezustand einzuführen, um während der Pandemie die Sicherheit der Bevölkerung zu schützen.[8] Er galt zunächst bis 30. April, wurde aber bis 11. Mai verlängert.[9] Die Grenzen wurden mit Beginn des Ausnahmezustands geschlossen. Am 19. März wurden die beiden größten Städte des Landes, die Hauptstadt Nur-Sultan mit etwa 1,1 Millionen Einwohnern und das Wirtschaftszentrum Almaty (ca. 2,0 Millionen), unter Quarantäne gestellt.

Die Städte wurden von Militär und Polizei abgeriegelt. Seit dem 28. März gelten in beiden Städten zudem verschärfte Regeln, welche die Bewegungsfreiheit deutlich einschränken. So darf die Wohnung nur für Einkäufe von Lebensmitteln oder Medikamenten verlassen werden, nur systemrelevante Unternehmen und Organisationen dürfen arbeiten und Mitarbeiter dürfen den Arbeitsweg nur mit Dokumenten des Arbeitgebers zurücklegen. Im Laufe des Aprils wurde die Quarantäne auf nahezu alle Großstädte des Landes ausgedehnt.

Schon im März legte Kasachstan Hilfsprogramme für Bevölkerung und Wirtschaft auf. Bedürftige konnten unbürokratisch per Mobiltelefon eine Unterstützung von 42 500 Tenge (KZT, ca. 90 Euro) für die Zeit des Ausnahmezustands beantragen, etwa ein Viertel des durchschnittlichen Monatseinkommens von 350 Euro. Mehr als 4,1 Millionen Menschen wurde die Unterstützung ausgezahlt. Zudem wurden Unternehmen Steuererleichterungen und zinsgünstige Kredite eingeräumt.[10]

Ausnahmezustand wird gegen Regimekritiker genutzt

Die Krisenkommunikation Kasachstans kann als beispielhaft in Zentralasien gelten. Sowohl die Regierung als auch kasachische Medien berichten regelmäßig und tagesaktuell über die Lage im Land. Dennoch mehren sich Befürchtungen in der kasachischen Zivilgesellschaft, dass die Regierung den Ausnahmezustand dazu nutzen könnte, ihr autoritäres Regime auszubauen und Regimekritiker mundtot zu machen.[11]

In den vergangenen Tagen wurden mehrere Regimekritiker inhaftiert. Unter anderem war Alnur Ilyashev am 17. April in Almaty festgenommen worden. Ilyashev hatte im vergangenen Jahr mehrfach versucht, eine friedliche Demonstration in Almaty von den Behörden genehmigen zu lassen, und nach 32 abgelehnten Versuchen Erfolg gehabt. Nun wurde Ilyashev unter dem Vorwurf der „Verbreitung von Falschinformationen während der Zeit des Ausnahmezustands“ für zwei Monate in Untersuchungshaft genommen. Tatsächlich werde er festgehalten, so sein Rechtsanwalt, weil er die Präsidentenpartei Nur Otan kritisiert habe. Sollte Ilyashev verurteilt werden, drohen ihm bis zu sieben Jahre Haft.[12] Mit einem Journalisten aus Karaganda wurde ähnlich verfahren.

Zudem fürchten Journalisten und Menschenrechtler, dass die Regierung den Ausnahmezustand als Vorwand nutzen könnte, ein neues Versammlungsgesetz zu verabschieden, ohne dass die Öffentlichkeit die Möglichkeit hätte, die Idee einer derartigen Novelle zuvor öffentlich zu diskutieren. Am 26. März und am 8. April, also während des Ausnahmezustandes, hatte das kasachische Parlament in erster und zweiter Lesung den Gesetzentwurf in den weiteren Gesetzgebungsverlauf durchgewinkt. Laut dem Menschenrechtler Yevgeny Zhovtis wäre es besser gewesen, das Gesetz erst nach der Coronakrise zu beschließen. Nun bestehe die Gefahr, dass das Gesetz, mit dem seiner Meinung nach Übergriffe der Behörden gegen Demonstranten legalisiert werden sollen, ohne Anhörung von Vertretern der Zivilgesellschaft beschlossen werden könnte.[13]

Der ganze Artikel aus der Ausgabe 3-4/2020 der Zeitschrift Osteuropa