Eine Verfassungsänderung in Usbekistan sollte den Einwohnern der autonomen Republik Karakalpakstan ihre Selbstbestimmung nehmen. Das führte zu blutigen Ausschreitungen. Es gibt eine Untersuchungskommission, doch manche zweifeln an ihrer Unabhängigkeit.
Durch Sicherheitskräfte abgefeuerte Rauchgasbomben und Gummigeschosse, tödliche Übergriffe seitens Demonstranten auf Polizisten. Videos im Internet zeigen noch die Brutalität der Unruhen, die Anfang Juli Usbekistan erschütterten. Mehrere Tausend Menschen waren in Nukus, der Hauptstadt der autonomen Region Karakalpakstan im Westen Usbekistans, auf die Straße gegangen, lieferten sich über drei Tage hinweg Kämpfe mit Polizisten und Soldaten. Die offizielle Bilanz der Unruhen in Karakalpakstan: 21 Tote, Dutzende Verletzte und über 500 Verhaftete.
Azimbay Ataniyazov, ein in Nukus lebender Menschenrechtler, erinnert sich, wie er die Tage Anfang Juli erlebte. Aus dem Außenbezirk von Nukus, wo er lebt, versuchte er, zum Zentrum der Proteste rund um den Basar zu gelangen.
„Ich habe versucht, da hinzukommen, aber konnte nicht. Die Straßen waren abgesperrt durch Reihen von Soldaten. Als ich angefangen habe, die Protestierenden mit dem Handy zu filmen, haben die Soldaten mich gezwungen, die Videos zu löschen, das Handy haben sie mir aber gelassen. Das war am Vormittag des 2. Juli. Weil es keinen Sinn machte zu bleiben, bin ich wieder nach Hause. Am Abend habe ich dann hier bei uns Lärm gehört und bin hin. Ich habe gerade noch gesehen, wie Demonstranten Soldaten verprügelten, die dann wegrannten. Da lagen zwei Paar Soldatenschuhe herum, die habe ich auch gefilmt.“
Verfassungsänderung bedrohte Unabhängigkeit
Auslöser der Proteste in Karakalpakstan war eine geplante Verfassungsänderung. Demnach sollte Karakalpakstan, das offiziell eine autonome Republik innerhalb Usbekistans ist, das Recht abgesprochen werden, sich per Referendum von Usbekistan abspalten zu können. Als Usbekistan 1991 nach dem Fall der Sowjetunion selbst unabhängig wurde, war dieses Recht der Region Karakalpakstan zugesprochen worden – allerdings nur für 20 Jahre, die längst abgelaufen sind. Bisher hatte niemand die Frage einer möglichen Unabhängigkeit Karakalpakstans angetastet und man behielt die veraltete, noch immer in der Verfassung stehende Regelung stillschweigend ein.
Umida Niyazova leitet das in Berlin angesiedelte Usbekische Forum für Menschenrechte. Sie beschreibt den Fehler, den die Regierung hinsichtlich Karakalpakstans offenbar aus Unwissen machte.
„Diejenigen, die entschieden haben, diese Regelung zu ändern, wollten die Verfassung offenbar nur um Unstimmigkeiten bereinigen. Denn da gibt es wirklich Paragrafen, die sich widersprechen. Einer sagt, das Territorium Usbekistans sei unantastbar, und ein anderer, Karakalpakstan könne sich unabhängig machen. Diese Kurzsichtigkeit sowie die fehlende Nähe zur Bevölkerung und zu dem, wie die Menschen denken, haben dann zu den Massendemonstrationen mit Gewaltausbrüchen auf beiden Seiten geführt.“
Tatsächlich wäre ein unabhängiger Staat Karakalpakstan wohl wirtschaftlich unrealistisch. Die Region ist eine der ärmsten Usbekistans. Karakalpakstan umfasst rund 40 Prozent der Landesfläche, trägt jedoch nur etwa sieben Prozent zum Bruttoinlandsprodukt Usbekistans bei. Knapp zwei Millionen Menschen leben in der ausgedehnten Wüstenregion, etwa ein Viertel davon in der Hauptstadt Nukus.
Alleingelassen am ausgetrockneten Aralsee
Seit den 60er-Jahren leidet Karakalpakstan als Folge intensiver Landwirtschaft unter dem Austrocknen des Aralsees – einer der größten menschengemachten ökologischen Katastrophen weltweit. Die Region hat immer weniger Wasser. Giftige Staubstürme belasten die Gesundheit. Daher die hohe Protestbereitschaft der Menschen im Juli dieses Jahres, so Umida Niyazova.
„Also diese echten Probleme, das Fehlen von Infrastruktur, von sauberem Trinkwasser, all diese alltäglichen Schwierigkeiten, das hat sich über einen langen Zeitraum angestaut. Und plötzlich gab es mit der geplanten Verfassungsänderung einen realen Grund, der zu diesen Massenprotesten geführt hat, die niemand erwartet hatte.“
Die Lage hat sich beruhigt. Die usbekische Regierung hat die Karakalpakstan betreffenden Verfassungsänderungen ausgesetzt. Zweimal hat Präsident Mirziyoyev seitdem die Region besucht, verkündete Investitionsprogramme, um die Armut in der Region zu bekämpfen.
Zudem hat das usbekische Parlament eine Untersuchungskommission gebildet. Die soll den Ablauf der Ereignisse im Juli unabhängig – so heißt es – rekonstruieren.
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