Der markante Baiterek in der kasachischen Hauptstadt Astana ist eng mit dem Personenkult um den autoritären Ex-Präsidenten Nursultan Nasarbajew verbunden. Die Bevölkerung allerdings liebt den 105 Meter hohen Turm und sieht ihn als Wahrzeichen für die Unabhängigkeit Kasachstans – ganz wie es Nasarbajew einst beabsichtigte.

Machtdemonstration durch Architektur

Die Gegend rund um den Baiterek-Turm zählt in der kasachischen Hauptstadt Astana zu den lebendigsten Vierteln. Geschäftige Anzugträger eilen von Ministerium zu Ministerium, dazwischen entspannen Touristen und Einheimische in Cafés mit Sommerterrassen. Unter ihnen auch die Bewohner der naheliegenden gläsernen Luxus-Wohnkomplexe, die klang volle Namen tragen wie „Polarlichter“ oder „Ray Residence“. Selbst an heißen Sommertagen stehen Menschen am Baiterek Schlange, um per Fahrstuhl zur hochgelegenen Aussichtsplattform hinaufzugelangen. 1.500 Tenge, etwa drei Euro, kostet das Ticket für einen Erwachsenen, die Hälfte für Kinder bis 15 Jahre. Ordner lenken die Massen zu den zwei Fahrstühlen, mit denen es nach oben geht.

Schlangestehen am Handabdruck des Ex-Präsidenten in der gläsernen Kuppel des Baiterek

Dabei sah es hier vor zwei Jahrzehnten im erst kurz zuvor zur Hauptstadt gewordenen Astana noch ganz anders aus. 1997 hatte der damalige Präsident Nursultan Nasarbajew die alte Hauptstadt Alma-Ata zunächst in Almaty umbenannt und ihr dann auch noch den Hauptstadtrang entzogen. Stattdessen sollte die Provinzstadt Akmola mitten in der Steppe zum neuen Machtzentrum Kasachstans aufsteigen. Sie bekam einen neuen Namen, Astana, was auf Kasachisch schlicht Hauptstadt heißt.

„Nasarbajew wollte seiner Macht auch architektonisch Ausdruck verleihen, seinen Claim abstecken“, sagt heute die kasachische Kunsthistorikerin Khalima Truspekova über die damalige Neugründung. Sie erforscht seit vielen Jahren die Identitätsfindung Kasachstans durch Architektur und Kunst. 2019 wurde der Regierungssitz zu Ehren des langjährigen Herrschers in Nur-Sultan umbenannt. Doch im September 2022 kehrte man zu Astana zurück, um sich von Nasarbajew, der zwischenzeitlich deutlich an Macht verloren hatte, zu distanzieren.

Einfluss von Volksmärchen

Wer heute nach Astana kommt, ist überrascht von der futuristisch anmutenden Architektur der Stadt, an der international bekannte Architekten wie Norman Forster mitwirkten. Der auffälligste Orientierungspunkt ist der 105 Meter hohe Baiterek-Turm, der als Wahrzeichen der Hauptstadt gilt. Er soll den Lebensbaum aus einem Volksmärchen nachbilden, heißt es in Stadtführern. Danach legte der heilige Vogel Samruk einst ein Ei – die Sonne – auf eine junge, kräftige Pappel. Das Ei wiederum wurde vom Drachen Aydakhar verschlungen. Deshalb kehrte der Vogel Samruk im folgenden Jahr zurück und legte erneut ein Ei in den Baum.

Es heißt, dass der jährlich wiederkehrende Konflikt zwischen der Sonne und dem Drachen den Zyklus der Jahreszeiten repräsentiere, dem das nomadische Leben in der Steppe folgt. Die Kuppel im Baiterek-Turm wiederum soll mit dieser Referenz auf das frühere Nomadentum der Kasachen die Wiedergeburt ihrer Nation symbolisieren.

Als Erschaffer des Baiterek gilt der 2020 verstorbene frühere Chef des Architektenverbands Kasachstans Akmurza Rustembekov. Er soll das Wahrzeichen von Astana entworfen haben. Angeblich habe ihm eine Skizze voller symbolischer Anspielungen auf die wichtigsten Merkmale der jungen Republik vorgelegen, die Staatschef Nasarbajew selbst zu Papier gebracht haben soll.

In kasachischen Künstlerkreisen hält sich allerdings seit langem das Gerücht, dass der Entwurf eigentlich von einem aus ihrem Kreis stamme und die Idee „gestohlen“ worden sei. Nachweisen lässt sich weder die eine Geschichte noch die andere. Und eine Urheberrechtsklage gegen den einstigen Präsidenten will in Kasachstan sicherlich niemand anstrengen.

Barocke Sichtachsen

Die um den Turm gepflanzten Bäume sind groß geworden, Statuen und Plastiken, die Symboliken der nomadischen Geschichte Kasachstans aufgreifen, schmücken den Nurzhol-Boulevard, an dem Präsidentenpalast und Baiterek liegen. Heute ist von der Aussichtsplattform des Turmes aus tatsächlich das zu sehen, was sich Nasarbajew wohl vorgestellt hatte, als er sich den modernen Stadtteil des neuen Regierungsviertels vom japanischen Architekten Kisho Kurokawa auf dem Reißbrett entwerfen ließ.

Blick aus der Kuppel des Baiterek: Der Präsidentenpalast Ak Orda in der einen Richtung ....
Blick aus der Kuppel des Baiterek auf die barocke Sichtachse: Der Präsidentenpalast Ak Orda in der einen Richtung ….
... das an eine Jurte erinnernde Shopping-Center Khan Shatyr in der anderen
… das an eine Jurte erinnernde Shopping-Center Khan Shatyr in der anderen

Nasarbajews eigener Herrschaftsanspruch spiegelt sich nun in der „barocken“ Sichtachse wider, die von der Aussichtskugel auf dem Baiterek aus überschaut werden kann. In der einen Richtung liegt der Ak-Orda-Palast, dahinter die Glaspyramide des „Palastes für Frieden und Eintracht“ und noch weiter weg der neue Bahnhof. In der anderen Richtung als dritter Achspunkt neben Präsidentenpalast und Baiterek liegt das Freizeit- und Einkaufscenter Khan Shatyr: Ein riesiges transparentes, spitz nach oben zulaufendes Zelt, mit dem der britische Architekt Sir Norman Foster eine moderne Anspielung auf die Jurte, das kasachische Nomadenzelt, machte.

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