Usbekistan: Wie unabhängig ist die Justiz?

von © Deutschlandfunk, Eine Welt, 6.50 min, Edda Schlager

Seit knapp drei Jahren setzt Präsident Schavkat Mirziyoyev in Usbekistan eine Reform nach der anderen um. Durch politische und wirtschaftliche Veränderungen lockt er ausländische Geldgeber ins Land. Doch Zweifel an der Funktionsfähigkeit der Justiz wachsen und verunsichern auch Investoren.

Shavkat Mirziyoyev will das schlechte Image Usbekistans aufpolieren. Visafreiheit – auch für deutsche Urlauber –, Währungsreform, Steuerreform, Amnestien für Hunderte politische Gefangene – das sind nur einige der vom usbekischen Präsidenten initiierten Vorhaben der vergangenen drei Jahre.

Große wirtschaftliche Ambitionen

Vor allem in der Wirtschaft seien die Anstrengungen Shavkat Mirziyoyevs immens, sagt Laziz Kudratov, der usbekische Vize-Minister für Investitionen: „Der Präsident hat dem Land eine ambitionierte Aufgabe gestellt. Im Jahr 2022 wollen wir beim Investitionsklima zu den Top 20 weltweit gehören. Wir verbessern permanent die Bedingungen, damit sich Investoren bei uns wohlfühlen. Das Wichtigste ist, dass es bei der Führung des Landes den politischen Willen dafür gibt.“

Wahlkampf in Taschkent im Jahr 2016. Vor drei Jahren wurde Shavkat Mirziyoyev zum Präsidenten gewählt

Einer dieser Investoren, die sich in Usbekistan wohlfühlen sollen, ist der deutsche Lkw-Bauer MAN. Vor zehn Jahren hatte das deutsche Unternehmen mit dem usbekischen Staatsbetrieb für Automobilbau ein Joint Venture gegründet. Im Werk von MAN Avto-Uzbekistan in Samarkand erklärt ein Mitarbeiter die einzelnen Montage-Stationen. An einem Ende einer riesigen Halle stehen nur Chassis, am anderen blitzende fertige Lkws.

Die Produktion läuft auf Hochtouren. Rund 10.000 Lkw und Busse sind in den vergangenen Jahren aus dem Werkstor gefahren, Tendenz steigend. Denn sowohl in Usbekistan, als auch in den Nachbarländern ist der Bedarf an Nutzfahrzeugen enorm. Wie sicher aber sind internationale Investoren im für Korruption und Willkür bekannten Usbekistan? Die deutsche MAN Truck and Bus aus München, die 49 Prozent an dem deutsch-usbekischen Joint Venture hält, erklärt dazu in einem Statement gegenüber dem Deutschlandfunk:

„Die Rechtslage ist eigentlich transparent, aber es herrscht noch ein Nachholbedarf im Umgang mit dem Recht. Hier sind viele Reformen im Gange. Gut hierbei ist, dass es mehr Möglichkeiten für Unternehmer gibt, wenn es gelingt, die Rechtsprechung effizient und unabhängig zu gestalten. Die Regierung strebt hier einen deutlichen Wandel an hin zu einer Wirtschaft, die unabhängig ist von der Politik.“

„Für Investoren ist es riskant“

Der usbekische Wirtschaftsanalyst Yuliy Yusupov sieht dies deutlich kritischer. Die usbekische Justiz sei überhaupt nicht auf internationale Investoren vorbereitet. Zudem mangele es gerade in der Rechtsprechung noch deutlich an Reformwillen. Er meint: „Für Investoren ist es einerseits riskant, denn es gibt noch keine Mechanismen zum Schutz ihrer Interessen. Auf der anderen Seite ist der Markt sehr vielversprechend. Wir brauchen aber mehr administrative Reformen, denn die bisherigen Funktionen des Staates werden leider noch nicht radikal genug infrage gestellt.“

Einer der wichtigen internationalen Investoren für Usbekistan. Das MAN-Werk in Samarkand

Das alte Usbekistan war ein Überwachungsstaat mit Planwirtschaft. Unternehmen agierten auf Anweisungen von oben. Der Geheimdienst wiederum war das wichtigste Instrument, um die Bevölkerung zu kontrollieren. Dass die usbekische Justiz alte Gewohnheiten noch nicht abgelegt hat, musste die Familie von Kadyr Yusupov erfahren. Vor fast genau einem Jahr versuchte der damals 67-Jährige, der an Depressionen leidet, sich das Leben zu nehmen. In der Hauptstadt Taschkent stürzte er sich ins Gleis. Kadyr Yusupov überlebte schwer verletzt, kam ins Krankenhaus. Doch weil die Metro in Taschkent bis heute als strategisch wichtiges Objekt gilt, trat schnell auch der Geheimdienst auf den Plan. Die Behörden entdeckten: Kadyr Yusupov ist ein Ex-Diplomat, seit 2009 im Ruhestand. Noch am Abend seines Selbstmordversuchs, im Krankenhaus, gestand Kadyr Yusupov, er habe für ausländische Geheimdienste spioniert.

Menschenrechte unter Druck

Bis heute ist er in Haft, seit fast einem Jahr. Vorgeworfen wird ihm Landesverrat. Erst kürzlich hatte Kadyr Yusupovs Sohn, Temur Yusupov, Gelegenheit, seinen Vater vor Gericht zu sehen – allerdings nur von weitem. Schlecht habe er ausgesehen, erzählt er zuhause. Für Temur Yusupov und die Familie ist klar: Der Vater ist unschuldig; das Geständnis sei unter Folter erzwungen worden. Selbst die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat sich eingeschaltet: Auf diese Art und Weise gegen so genannte „Staatsfeinde“ vorzugehen, sei eine Taktik der Behörden aus Islom Karimovs Zeiten. Allen Fortschritten im Lande zum Trotz – bei Justiz und Sicherheitsbehörden habe sich bisher wenig verbessert. Selbst Temur Yusupov erkennt den Reformwillen der Regierung an. Aber er hat auch eine wenig hoffnungsvolle Erklärung für das Schicksal seines Vaters:

Yuliy Yussupov, einer der profiliertesten Wirtschaftsanalysten Usbekistans

„Ich habe eine Theorie: Die Geheimdienste müssen der Regierung beweisen, dass sie effektiv arbeiten, müssen jeden Tag melden, wie viele Spione, Extremisten usw. sie festgesetzt haben, um zu zeigen, dass sie wirklich noch gebraucht werden. Wenn dann jemand wie mein Vater ein Geständnis ablegt, erleichtert das die Arbeit natürlich ungemein. Das heißt, wenn mein Vater betraft wird, erhält irgendwo da oben jemand eine Beförderung.“

Die internationalen Lobeshymnen auf die Öffnung Usbekistans sind enorm. Doch drei Jahre nach Shavkat Mirziyoyevs Amtsantritt ist es an der Zeit, sich auch unbequemen Fragen zu stellen. Erst durch eine unabhängige und rechtsstaatliche Justiz wird sich zeigen, dass es Shavkat Mirziyoyev ernst ist mit seinen Reformen. Menschenrechte sollten dann nicht mehr auf der Strecke bleiben.

Deutschlandfunk, Eine Welt, 30.11.2019