Das Goethe-Institut auf Sinnsuche: Beispiel Kasachstan
Die weltweit 157 Goethe-Institute gelten als Prestigeprojekt der deutschen Kulturpolitik. Doch die Corona-Pandemie hat vielen der ohnehin schon klammen Häuser noch größere Geldsorgen beschert.
Ihr Kerngeschäft, die Deutschkurse im In- und Ausland, steht unter großem Konkurrenzdruck durch günstigere Anbieter und brach während der Pandemie zeitweise fast vollständig ein. Und auch der einstige Auftrag, deutsche Kultur zu exportieren, wirkt mittlerweile angestaubt.
Mit ihrer neuen Präsidentin Carola Lentz sucht Deutschlands bekannteste Kulturinstitution nach einer neuen Bestimmung.
Beispiel Zentralasien
Ein ländlicher Vorort von Almaty, der größten Stadt Kasachstans. Die Schlaglöcher in der Straße sind unter einer dicken Schicht Schneematsch und Eis verborgen. Es riecht nach Heu und Kühen, Meisen singen.
Hier, direkt neben einem verwaisten Fußballfeld und der Dorfschule, wohnt Jekaterina Kirschmann mit ihrer Familie – mit Mann Vitja, Tochter und Sohn, 14 und fünf Jahre alt, und Hündchen Olik. Das Haus haben sie vor wenigen Jahren gebaut, ganz fertig ist es immer noch nicht.
Jekaterina Kirschmann ist Russlanddeutsche und lernt am Goethe-Institut Kasachstan Deutsch
Jetzt am Abend läuft im großen Wohnzimmer der Fernseher, die Kinder streiten, Hund Olik rennt allen zwischen den Füßen herum – dabei braucht Jekaterina gerade Ruhe. Ihr Deutschkurs beginnt in wenigen Minuten.
Vitja, Nikita, macht den Fernseher aus, geht doch bitte in die Küche und schaut euch da etwas gemeinsam an….. Bitte, macht heute mal etwas leiser
Pünktlich um 18.30 Uhr beginnt der Deutschkurs des Goethe Instituts Almaty – wegen Corona online, per Zoom-Sitzung.
Guten Tag, hallo, wie geht es …..
Noch immer viele Deutsche in Zentralasien
Jekaterina ist eine von rund 2.000 Kurs-Teilnehmerinnen und -Teilnehmern am Goethe-Institut Almaty – und eine von rund 120.000 ethnischen Deutschen in Kasachstan. Ein Teil von Jekaterinas Familie war Anfang der 1940er Jahre wie rund 800.000 weitere Deutsche aus Russland nach Zentralasien deportiert worden. Die Nachkommen jener Deutschen, die im 18. Jahrhundert von Zarin Katharina der Großen nach Russland geholt worden waren, wurden durch Josef Stalin im Krieg der Kollaboration verdächtigt und massenweise zwangsumgesiedelt. Jekaterinas Muttersprache ist Russisch, doch als Kind konnte sie Deutsch, denn das war die Sprache ihrer Großmutter.
Als ich in die Schule gekommen bin, habe ich den deutschen Dialekt gesprochen, den ich von zuhause kannte. Meine Oma beispielsweise hatte einen anderen Begriff für „Hahn“ und solche Sachen. Und die Kinder in der Schule haben mich dafür ausgelacht. Da hab ich mir das selbst verboten und hab alles Deutsche komplett abgelehnt, habe aufgehört, Deutsch zu sprechen.
Auswanderungswünsche wie in den 90ern
Jetzt will Jekaterina doch wieder Deutsch lernen, denn sie würde gerne nach Deutschland auswandern – so wie ein Großteil ihrer Familie und wie rund eine Million deutschstämmiger Aussiedler, die bereits in den 90er Jahren Kasachstan verlassen haben.
Jetzt ist keiner mehr hier. Ja, unsere Eltern sind noch da und halten uns noch, aber der Vorteil, wenn wir auswandern, wäre eben, dass die Kinder sich entwickeln können. Die Eltern kommen schon klar ohne uns. Aber für die Kinder sieht es nicht rosig aus, eine Zukunft sehe ich für sie hier nicht.
Wie in vielen Ländern weltweit, ist das Goethe-Institut in Kasachstan erste Adresse, wenn es um die Vermittlung der deutschen Sprache geht.
Erste Adresse für Deutschlerner
Das Institut belegt die 5. Etage in einem Geschäftshaus im Zentrum von Almaty. Modern ausgestattete Klassenzimmer, die Bibliothek, Büros, eine Cafeteria – alles im typischen hellgrün des Goethe-Instituts gehalten. Saltanat Atysheva ist Beauftragte für die Organisation der Sprachkurse, sie erklärt, dass der Anteil Deutschstämmiger wie Jekaterina in den Sprachkursen gegenüber den 90er Jahren deutlich gesunken sei. Das Interesse aber wachse wieder, nur aus anderen Gründen.
Ja, vor fünf, sechs Jahren war die Situation nicht so gut. Hier waren Chinesisch, Koreanisch, Türkisch, Englisch populärer als Deutsch. Aber jetzt ist die Situation verändert. Deutsch wird immer wieder populär. Viele Studenten möchten die Ausbildung in Deutschland machen, daher bleibt Deutsch hundertprozentig populär.
Viele Menschen in Zentralasien lernen Deutsch für bessere wirtschaftliche Perspektiven. Doch das Goethe-Institut ist ebenso Vermittler für die deutsche Kultur und das Deutschland-Bild im Ausland. Das Goethe-Institut in Almaty übernimmt diese Rolle nicht nur in Kasachstan, sondern auch im benachbarten Kirgistan und in Turkmenistan.
Kulturmittler Goethe-Institut
Eva Schmitt hat das Goethe-Institut Kasachstan drei Jahre lang bis Ende 2020 geleitet – ihre Nachfolge ist wegen der Coronakrise noch offen. Schmitts Erfahrungen in ganz Zentralasien sind ausgesprochen wertvoll, auch wenn die Arbeit nicht immer so planbar ist, wie in Deutschland. In Turkmenistan beispielsweise, dem nach Nordkorea am meisten abgeschotteten Land der Welt, müsse jeder Schritt durch turkmenische Behörden genehmigt werden.
Das braucht sehr viel Zeit, sehr viel Vorlauf, auch Erklärungen, und ist kein einfacher Prozess, weil oft auch nicht klar ist, ob das funktionieren wird, was an Planungen ansteht oder möglicherweise dann kurzfristig doch nicht mehr klappt. – Wenn es dann aber funktioniert, sind das Interesse, die Motivation und auch die Auswirkungen oder der Erfolg vor Ort sehr sichtbar für die Arbeit des Goethe-Instituts.
Die Länder Zentralasiens sehen sich mit Deutschland eng verbunden – aufgrund der historischen Verbindungen durch die Russlanddeutschen, aber auch durch seine große Akzeptanz in Europa und weltweit.
Diplomatischer Zugang
Deutschland wiederum hat über das Goethe-Institut einen positiv besetzten Zugang in die kaum bekannte, politisch schwierige Region Zentralasien. Diesen Zugang zu bewahren, so Eva Schmitt, werde die Aufgabe des Goethe-Instituts bleiben – auch wenn das politische Umfeld unberechenbarer werde.
Es wird auch von Seiten Zentralasiens, vor allem von Kasachstan nach Russland geschaut, wie sich dort die politische Entwicklung macht in Bezug auf NGOs. Und auch da kann es sein, dass das Goethe-Institut in einen Bereich kommt, wo dann Entscheidungen anstehen, was kann man noch machen als externe Institution, welche Möglichkeiten hat man, vor Ort zu arbeiten, wo wird es schwieriger oder wo wird es sich ändern. Das sind Perspektiven, die man berücksichtigen muss.