Tadschikistan: Aids-Risiko Gastarbeit
Am 1. Dezember jährte sich der Welt-AIDS-Tag zum 20. Mal. Doch von einer erfolgreichen Bekämpfung der Immunschwäche-Krankheit kann keine Rede sein. Vor allem in Osteuropa und Zentralasien breitete sich der HI-Virus in den vergangenen Jahren explosionsartig aus. Neben Drogenkonsum ist Gastarbeit eines der größten Ansteckungsrisiken, zum Beispiel in Tadschikistan. Männer, die in Russland das Geld für die Familie verdienen, bringen immer häufiger auch das HI-Virus mit nach Hause.
„Als ich es erfahren habe, war ich in Panik, völlig schockiert. Ich wollte niemanden sehen, niemanden hören. Ich habe nicht nur an Selbstmord gedacht, ich wollte mich zusammen mit meinen Kindern umbringen. Aber wenn ich Selbstmord begehe, was werden dann die Leute sagen?”
Mawajuda ist 45 Jahre alt. Eine zarte Frau, mit Lederjacke und lila Lidschatten, der den Blick auf ihre eingefallenen Augenhöhlen lenkt. Mawajuda ist nicht ihr richtiger Name, denn sie hat Angst vor Entdeckung.
Ihre drei Kinder im Teenager-Alter haben sie vom Selbstmord abgehalten. Doch bis heute wissen sie nicht, dass sie ihre Mutter fast verloren hätten, wissen nicht, warum sie sich vor vier Jahren von ihrem Mann getrennt hat, aus dem gemeinsamen Zuhause zu ihren Eltern zurückgekehrt ist.
Auch Mawajudas Eltern ahnen nichts von dem wahren Grund. – Mawajuda ist seit vier Jahren mit HIV infiziert und mittlerweile an AIDS erkrankt. Aus Angst, dass sich ihre Kinder von ihr abwenden, die Eltern sie aus dem Haus werfen könnten, verschweigt sie ihrer Familie bis heute, dass sie krank ist. Dabei wohnt sie mit Eltern und Kindern unter einem Dach und ihr Gesundheitszustand hat sich sichtbar verschlechtert.
„Als ich hierher gekommen bin zu meinen Eltern und ihnen gesagt habe, dass ich HIV-positiv bin, habe ich sofort gemerkt, wie sie sich distanziert haben. Sie wollten nicht, dass ich bei ihnen wohne. Da habe ich die Taktik geändert und gesagt, beim Test habe man sich geirrt, ich sei völlig gesund.”
Nur einer in der Familie kennt den Grund für Mawajudas Flucht: Ihr Ehemann. Monate lang war er als Gastarbeiter in Russland. Als er zurückkam, steckte er sie mit dem HI-Virus an.
Mawajudas Geschichte ist typisch für die Länder Zentralasiens. – Afrika oder Südostasien sind die Gegenden, an die man denkt, wenn es um die rasante Ausbreitung von AIDS-Infektionen geht. Doch auch Zentralasien gehört zu den Hochrisiko-Regionen für die Immunschwäche-Krankheit. Waren es in Tadschikistan bisher vor allem Drogenabhängige und Prostituierte, die als Risikogruppen galten, sind heute immer mehr Arbeitsmigranten gefährdet.
Mehr als eine Million junger Tadschiken verlassen jährlich ihre Heimat, um im Ausland den Unterhalt für ihre Familien zu verdienen.
Russland – das beliebteste Ziel tadschikischer Gastarbeiter – ist nach den Ländern im südlichen Afrika die Region mit den meisten neuen HIV-Infektionen. Bis zu 1,6 Millionen Menschen könnten allein in Russland mit HIV infiziert sein, schätzt UNAIDS.
Damit verglichen sind die Zahlen in Tadschikistan sehr niedrig. In dem Land mit etwa sieben Millionen Einwohnern sind laut Gesundheitsministerium im Jahr 2007 309 Neuinfektionen registriert worden, etwas mehr als eintausend Infizierte gibt es offiziell. Die Schätzungen von UNAIDS sind weitaus höher. Maria Boltajewa vom tadschikischen UNAIDS-Büro.
„UNAIDS schätzt die Zahlen seit dem Jahr 2006. Darauf basierend nehmen wir an, dass es mittlerweile bis zu 10.000 HIV-Infizierte gibt. Die offiziellen Schätzungen aus dem Gesundheitsministerium liegen dagegen bei 6.000.”
Besonders gefährdet sind die Frauen in Tadschikistan. Denn das Land ist von patriarchalischen Familienstrukturen geprägt,
„Über Sex oder über HIV zu reden, ist ein Tabu. Es scheint fast so, als ob es in der Republik Tadschikistan keinen Sex gibt. – Durch unsere Traditionen haben die Frauen weniger Möglichkeiten, ihre Gesundheit zu schützen, weil sie von den Männern wirtschaftlich abhängig sind. Auch die Möglichkeiten, auf ein Kondom zu bestehen, sind beschränkt. Wenn die Ehefrau das von ihrem Mann verlangt, schlägt er sie eher.”
Doch Matluba Rahmonowa sieht auch Chancen beim Kampf gegen AIDS.
„Wir sind erst im Anfangsstadium der Epidemie. Deshalb haben wir noch die Möglichkeit, eine größere Ausbreitung zu verhindern.”
Obwohl Tadschikistan als eines der ärmsten GUS-Länder gilt, engagiert sich das Land stark bei der Bekämpfung von HIV und AIDS. Vergangenes Jahr wurde ein nationales Präventionsprogramm verabschiedet. Und bis zum Jahr 2010 will die tadschikische Regierung rund 50 Millionen US-Dollar für die Aufklärung aufwenden.
Als erstes der zentralasiatischen Länder hat Tadschikistan zudem eine Studie zur Diskriminierung von HIV-Infizierten veröffentlicht. UNAIDS hat die Studie initiiert.
„Wir wollten erreichen, dass die Regierung und die Öffentlichkeit das Problem anerkennen. Und dass die HIV-Infizierten selbst einbezogen werden.”
Die Studie habe gezeigt, dass das Wissen um Übertragungswege und Schutzstrategien selbst im Gesundheitswesen erschreckend gering ist. Infizierte Kinder dürfen keine Kindergärten und Schulen besuchen, Betroffene verlieren ihre Arbeit, und in Krankenhäusern wird ihnen die Behandlung verwehrt.
Bereits seit 2005 gibt es in Tadschikistan ein Gesetz über HIV-Infizierte und ihre Rechte. Die jetzt erhobenen Daten sollen als Grundlage für weitere Gesetzesänderungen zum Schutz der Betroffenen dienen.
Mawajuda, die von ihrem Mann infiziert wurde, schätzt die Chancen auf eine baldige Verbesserung ihrer Situation als gering ein.
„Die Gesetze müssen auch angewendet werden, aber dazu braucht es Zeit. – Es ist diese Mentalität, die Leute wissen, HIV und Aids, das ist etwas ganz schlimmes, das hat etwas mit Tod zu tun. Wie früher Syphilis oder Lepra. Die Leute hatten früher Angst, und so ist es heute.”
Das Stigma bleibe letztlich an den Betroffenen hängen.
„Ein Gesetz existiert, ja – und Diskriminierung existiert. – Und wir müssen damit klar kommen.”