Wie ich als deutsche Journalistin in Kasachstan eine politische Sensation und die darauf folgenden Tage des Umbruchs erlebte.
Der 19. März 2019 wird als historischer Tag in die Geschichte von Kasachstan eingehen. Für mich persönlich war er zunächst ganz unspektakulär. – Am Nachmittag war bekannt geworden, dass Präsident Nursultan Nasarbajew sich am Abend um 19 Uhr ans Volk wenden wolle. Das passiert regelmäßig einmal im Jahr – er verkündet neue Wirtschaftsstrategien oder Programme, die die Staatsbeamten in Panik versetzen, weil alles umgehend danach auszurichten ist, aber in der Regel im Sande verlaufen.
Ich gehe erst einmal einkaufen. Im Supermarkt herrscht Festtagsstimmung. In Kasachstan steht Nauryz bevor, das muslimische Neujahrsfest – fünf Tage frei! Familien decken sich mit Großeinkäufen für die Feiertage ein. Der Supermarkt ist mit Blumengirlanden geschmückt – Nauryz gilt auch als Frühlingsfest.
Ansprache im Fernsehen
Als ich nach Hause komme, läuft Nasarbajews Ansprache bereits. Auf Twitter heißt es, er trete zurück. Ein Scherz, bin ich sicher, die üblichen Frotzeleien in meiner Zentralasien-Blase, die jede Äußerung der hiesigen Diktatoren mit beißendem Humor kommentiert.
Ich zappe durch einige TV-Programme, eh ich Nasarbajew finde. „….im Fall einer vorzeitigen Beendigung der Amtszeit des Präsidenten … Senatssprecher Kassym-Jomart Kemelovich Tokayev …. Ich glaube, Tokayev ist der Mensch, dem wir die Führung Kasachstans anvertrauen können …“
Es ist wahr! Vor laufendender Kamera unterzeichnet Nasarbajew seinen letzten Erlass als Präsident, wie er selbst kommentiert. Er wünscht allen Kasachstanern Glück, bedankt sich. Schnitt. Das normale Programm läuft weiter.
Tage des Umbruchs für eine ganze Generation
„Meine Generation“, so schreibt in dieser Nacht meine Freundin Aliya auf Facebook, „wird sich immer an die Bedeutung dessen erinnern, was am 19. März um 19 Uhr passierte. Ja, es ist eine friedliche Machtübergabe, und dennoch symbolisch für uns hier, die wir mit einem einzigen Präsidenten aufgewachsen sind.“
Die Menschen in Kasachstan sind nach diesem Abend geschockt, erschüttert, auch besorgt. Raya, die in einem Restaurant arbeitet, weint, als ich sie später nach ihrer Reaktion auf die Nachricht frage. „Er ist so ein guter Mensch“, sagt sie. 16 Jahre lang, so erzählt die Endfünfzigerin, habe sie in Nasarbajews Residenz in Almaty gearbeitet, er habe sie oft vor seiner hysterischen Ehefrau in Schutz genommen. „Er hat das Land so gut geführt, und mit einem Mal … es weiß doch keiner, wie es jetzt weitergeht.“
Bedauern hält sich in Grenzen
Nicht alle bedauern Nasarbajews Rücktritt. „Wenn man jeden Tag das gleiche isst“, sagt Taxifahrer Beken Kudaybergen, „hängt einem das auch zum Halse raus. Und wir hatten das hier 30 Jahre. Nein, es ist gut, dass er Platz macht. Wird Zeit, dass nun Junge das Ruder übernehmen.“
Diese Hoffnung verfliegt schnell. Schon am nächsten Tag wird der 65-jährige Kassym-Jomart Tokayev als neuer Präsident vereidigt. Tokayev ist ein langjähriger Weggefährte Nasarbajews, ein Funktionär, der schon als Außenminister und Premier diente. Dass er fließend Chinesisch und Englisch spricht, wird für das weitere Schicksal Kasachstans keine Rolle spielen.
Den ganzen Artikel hier lesen MDZ Online oder als PDF MDZ, No 6, März 2019