Der Aralsee ist zum großen Teil verschwunden, die Menschen sind noch immer da. Nach Jahren der Trauer versuchen sie nun, die Katastrophe als Chance zu sehen.
Das Ufer des Aralsees in Usbekistan ist ein Paradox. Ausgerechnet hier, wo die Katastrophe am größten ist, sieht der Aralsee einem Meer zum Verwechseln ähnlich. Wie an der Ostsee erstreckt sich links und rechts kilometerweit der Strand, direkt vor den Füßen laufen die Wellen auf das flache Ufer, stoisch wie seit Millionen von Jahren. Im Rücken steigt das Gelände an – nur sind es hier keine Dünen, sondern die bunten Sedimente des Ustyurt-Plateaus. (A)
Auf den zweiten Blick kehrt sich die Idylle an einem heißen Sommertag ins Dystopische. Der graue Sandstrand ist mit Salz verkrustet, das Ufer zum Wasser hin ein unappetitlicher Morast, das Wasser scheint nahezu zähflüssig, weil es so salzig ist. Über den Strand hinweg wehen Staubstürme, die die Luft gelb färben und einen den Kopf einziehen lassen im Wissen um ihre giftige Fracht. Der salzige Film auf der eigenen Haut zeigt – ein Entkommen gibt es trotzdem nicht.
Menschgemachte Katastrophe
Tengiz, das Meer, so nennen die Menschen hier den Aralsee. Der war einst tatsächlich einem Meer gleich, wichtiger Lebensraum und Wirtschaftsfaktor in einer zentralen Wüstenregion Zentralasiens. Mit rund 70.000 Quadratkilometern war er noch in den 1960er Jahren so groß wie Bayern, der viertgrößte See der Welt. Jetzt misst die Wasserfläche weniger als ein Zehntel davon. Noch vor wenigen Jahren sprach man vom nördlichen Kleinen Aralsee und dem südlichen Großen Aral. Doch von letzterem übrig sind nur ein riesiger Salzsumpf, der im Frühjahr etwas mehr Wasser führt als im Sommer, und westlich davon ein wenige Kilometer schmaler See, der sich von Usbekistan im Süden bis nach Kasachstan im Norden erstreckt.
„Man möchte weinen, wenn man versteht, was hier passiert ist“, sagt Dilfuza Kutlymuratova, während sie über das „Meer“ schaut. Sie betreibt ein Jurtencamp für Touristen an dessen Westufer. So oft Dilfuza kann, kommt sie hierher. Zum einen, um ihren Gästen die morbide Schönheit der Gegend zu zeigen, zum anderen aber auch, um ein Bewusstsein für die Dramatik der Katastrophe rund um den Aralsee zu schaffen.
Dilfuza ist ein Stadtmensch, sie kommt aus Nukus, der Hauptstadt von Karakalpakstan im Nordwesten Usbekistans. Hier hat die 42-Jährige mit ihrer Tante eine Tourismusfirma gegründet, denn offenbar interessieren sich Menschen aus aller Welt für diese Region. Der Aralsee ist ein Touristenmagnet. Die Hälfte ihrer Zeit verbringt Dilfuza deshalb mittlerweile in Muinak, der ehemals wichtigsten Hafenstadt am Südufer des Aralsees. 14.000 Einwohner hat die Stadt – und einen denkbar schlechten Ruf.
Schwierige Lebensbedingungen
Ein Taxifahrer erzählt später auf der Fahrt durch den Norden Usbekistans, dass er zwei Jahre lang die in Muinak stationierten Grenzsoldaten mit Lebensmitteln versorgt habe. „Selbst, wenn ich dort heute 200 oder 300 Dollar im Monat verdienen könnte, würde ich das nicht mehr machen, „die Gegend ist die Hölle.“ Seit er dort gearbeitet habe, leide er an Lungenproblemen wegen der Staubstürme. „Auch für Geld will ich das nicht mehr riskieren.“
Der gesamte Text ist im Magazin OWEP 4/2021 nachzulesen und hier erhältlich.