Kasachstan: Kritik am Kulturwandel
Erbossyn Meldibekov ist einer der wenigen international gefeierten Künstler Kasachstans. Weil er die sozialen und politischen Zustände im Land des autokratischen Herrschers Nursultan Nasarbajew kritisiert, steht er in seiner Heimat unter Beobachtung. Als wir ihn im Museum interviewen wollen, werden wir hinausgeworfen und müssen das Gespräch auf der Straße fortsetzen.
Erbossyn Meldibekov, einer der wenigen international anerkannten Künstler Kasachstans, wird aus dem Kastejew-Museum in Almaty hinauskomplimentiert. Es ist das landesweit renommierteste Museum für zeitgenössische Kunst. Meldibekov hat hier zwar einige Werke ausgestellt, aber dass er Interviews gibt, ist nicht erwünscht. Das lassen ihn gleich drei Museumswärterinnen deutlich spüren. Mit eindeutigen Gesten und verschlossenen Gesichtern weisen sie ihm den Weg hinaus, vorbei an Silberschmuck, Teppichen und verzierten Sätteln.
“Das ist ein Museum für bildende Kunst, hier sollten Bilder hängen! Früher haben hier Skulpturen gestanden, die haben sie weggenommen. Sie haben ein Museum für Volkskunst daraus gemacht, mit zwei anderen staatlichen Museen in Almaty ist dasselbe passiert, weil Kunst, vor allem zeitgenössische Kunst wohl zu gefährlich ist.”
Ein Indiz für den Kulturwandel
Der 50-Jährige Kasache – gedrungen, mit wildem schwarzen Haar und energischen Gesten – nimmt kein Blatt vor den Mund. In London, Hongkong und Berlin wird er gefeiert für seine Installationen, Performances, Video- oder Foto-Kollagen. In ihnen beleuchtet er die chaotische, postsowjetische Entwicklung in seiner Heimat, attestiert Kasachstan, Zentralasien und allen anderen Ex-Sowjetrepubliken einen “Zusammenbruch der Kultur”. Zuhause in Kasachstan dagegen kann er kein Atelier mehr mieten, weil er den Kulturminister mit einer ironischen Persiflage verballhornt hat. Dass traditionelle Motive der nomadischen Vergangenheit Kasachstans die moderne Kunst zunehmend verdrängen, ist für ihn ein Indiz für den Kulturwandel.
“Alles wird archaisiert. Wenn man nur ein bisschen frei denken will, ist das für sie gleich ein Problem. Ich hatte ein Atelier, habe gearbeitet, trotzdem haben sie mich rausgeschmissen.”
Tatsächlich sucht Kasachstan 23 Jahre nach Beginn seiner Unabhängigkeit noch immer eine eigene Identität. Das neuntgrößte Land der Erde hat Öl, Gas und Uran im Überfluss – aber nur 16 Millionen Einwohner. Durch Stalins Deportationen in den 30er- und 40er-Jahren ist es zum Vielvölkerstaat geworden. Heute leben hier noch immer rund 120 verschiedene Nationalitäten friedlich miteinander.
Der Nationalismus nimmt zu
Die Frage ist nur, wie lange noch. Denn der Nationalismus nimmt zu. So soll die Turksprache Kasachisch irgendwann Russisch als Staatssprache ablösen – obwohl nur wenige es beherrschen. Und auch Traditionen und Symbole, wie zum Beispiel die Jurte, das typische Filzzelt des Nomadenvolks, werden hervorgekramt. Barbara Fränkel-Thonet, Leiterin des Goethe-Instituts Kasachstan, sieht darin aber zunächst nichts Falsches:
“Ich glaube, dass das ein Schritt ist, den man in einem Volk, in einer Nation wahrscheinlich nicht überspringen kann. Das ist vielleicht ein Schritt, der uns aus dem Westen irritiert, weil wir meinen, das hinter uns gelassen zu haben. Aber vielleicht ist es notwendig, weil man versuchen muss zu sehen, wo man eigentlich in der Welt steht.”
Doch genau das, sagt der Künstler Erbossyn Meldibekov, gelinge Kasachstan eben nicht. Der totalitäre Staat unter Präsident Nursultan Nasarbajew lasse keine öffentlichen Debatten in der Gesellschaft zu. Und politische Gegner würden ausgeschaltet
“Kasachstan und die kasachische Sprache können nur dann frei sein, wenn eine eigene, tolerante, westlich orientierte Politik betrieben wird. Wenn das nicht geschieht, kann es kein offenes, demokratisches Land sein. Ich denke, dass Kasachstan eine Politik betreibt, die im Interesse von Russland und China ist. Beide Länder üben einen starken Einfluss aus. Deswegen kann Kasachstan keine eigenständige Politik machen.”
Als im Ausland erfolgreicher Künstler könnte Erbossyn Meldibekov das Land verlassen. Doch trotz der staatlichen Repressionen will er in seiner Heimat bleiben. Er findet es hier einfach spannender als im Westen.