Kasachische Künstler zu Präsidentschaftswahlen

von © Deutschlandfunk, Information & Musik, 03.04.2011

Politische Debatten – wie beispielsweise zu den vorzeitigen Präsidentschaftswahlen – finden in der kasachischen Kunst- und Kulturszene nicht statt. Die Künstler schweigen meist aus Angst, da sie durch den Staat finanziert werden. Nur einige wenige haben den Mut, die Politik offen zu kritiseren – so wie der Theaterregisseur Bolat Atabajew, der ein eigenes kasachischsprachiges Theater gegründet hat, oder der Performance-Künstler und Provokateur Kanat Ibragimow.

Eine Demonstration an einem Sonntag im März, in Almaty, der größten Stadt Kasachstans. Rund 500 Menschen sind dem Aufruf der Opposition gefolgt und fordern mit Spruchbändern den Boykott der anstehenden Präsidentschaftswahlen.

Auf einer Bühne steht eine Gruppe Oppositioneller, nacheinander greifen sie zum Mikrofon für kurze Ansprachen. Unter ihnen auch der Theaterregisseur Bolat Atabajew:

„Der Präsident hat gesagt, es wird keine vorzeitigen Wahlen geben, jetzt haben wir die Wahlen – ständig ändern sie ihre Meinung, sie wissen wohl selbst nicht, was sie da tun.“

Dass in Kasachstan ein Künstler zur Politik Stellung bezieht, und das auch noch um Präsident Nursultan Nasarbajew öffentlich zu kritisieren, hat Seltenheitswert. Die Opposition steht in dem zentralasiatischen Land unter strenger Beobachtung. Niemand, der im nahezu ausschließlich staatlich finanzierten Kulturbetrieb und damit abhängig vom Wohlwollen der Staatsbeamten existiert, leistet es sich hier freiwillig, die Aufmerksamkeit der Machthaber auf sich zu lenken. Der 59jährige Atabajew aber hat sich von den staatlichen Bühnen losgesagt und sein eigenes unabhängiges Theater „Aksarai“ gegründet.

Mit 20 jungen Schauspielern probt der Regisseur Bolat Atabajew im vierten Stock eines Bürogebäudes das Stück „Eiffel Bai“. Darin kämpft ein Architekt gegen die Abgeordneten im kasachischen Parlament. Die wollen ihm verbieten, ein monumentales Kunstwerk zu errichten, weil sie den Sinn und Zweck der Kunst nicht verstehen. Ähnliches geschehe in Kasachstan andauernd, sagt Atabajew. Kultur habe in der Politik Kasachstans faktisch keinen Platz.

„Jedes Jahr schreibt der Präsident die Rede an die Nation, wichtig ist vor allem Wirtschaft, dann Politik, über Kultur kein Wort. Ich frage mich jetzt, gut, wie kann ich reformieren die Wirtschaft oder die Politik, wenn ich intellektuell oder kulturell überhaupt nichts bin? Woher kommt die Korruption? Wenn der Mensch nicht kulturbeschäftigt ist, ungebildet, intellektuell nicht reich ist, dann ist der Mensch, macht Korruption, steckt in die Tasche. Reformieren muss man den Kopf und nicht die Hände, sie uns wollen sie die Hände reformieren.“

Mehrere Jahre arbeitete der Regisseur für das Theater der Kasachstandeutschen. Das machte vor allem in den 90er Jahren avantgardistisches Theater in deutscher Sprache – damals etwas völlig neues. Doch die Deutschen verließen das Land und Atabajew wandte sich der kasachischen Sprache zu. Mit seinem Theater „Aksarai“ möchte er nun die breite Masse der Kasachen in den Dörfern erreichen. Dort gäbe es nahezu kein politisches Bewusstsein. Er aber wolle, die Zuschauer mit Brechtschen Stücken aufrütteln.

„Stanislawski das ist unsere Theaterschule, anders gesagt, psychologische Kaugummi, deshalb haben wir gern diese Serien, diese Filme, die aus hundert Serien bestehen, Brecht sagt immer keine psychologische Kaugummi sondern Verstand, kein Gefühl, sondern Verstand, Ratio, erst, die Zuschauer müssen denken, und sie müssen sagen, dass sie mit mir einverstanden sind oder nicht einverstanden sind.“

Atabajew greift ganz bewusst staatliche Gelder ab, die zur Förderung der kasachischen Sprache ausgeschrieben werden. Dass er sie nutzt, um die Macht zu verhöhnen, wie er sagt, scheint er geradezu zu genießen.

Doch so herausfordernd wie Atabajew sind wenige Künstler in Kasachstan. Eine Reflexion über gesellschaftliche Entwicklungen findet in der kasachischen Kultur faktisch nicht statt. Der Journalist Timur Nussenbekow untersucht die Auswirkungen der russischen Kolonialisierung auf die kasachische Kultur – die sei der Grund für das Schweigen der Künstler.

„In Kasachstan ist bei Intellektuellen und Künstlern die Erinnerung an die Repressionen der Sowjetzeit noch sehr stark präsent, deshalb haben sie Angst.Für sie ist es geradezu ein Tabu, sich zur Politik zu äußern.“

Solche Entschuldigungen machen den Performance-Künstler Kanat Ibragimow regelrecht wütend. Ibragimow ist das Enfant terrible der kasachischen Kunst-Szene. Er produziert großformatige Collagen und Gemälde, in denen er munter traditionelle kasachische Symbole mit ironischen Anspielungen auf Geschichte, Religion und die heutige Politik mixt. Doch bekannt geworden ist Ibragimow für seine provokanten Kunst-Aktionen. Zu Nasarbajews 70. Geburtstag ließ sich der 47jährige öffentlich beschneiden. Er habe dem Präsidenten zeigen wollen, dass er ein guter Muslim sei. Für ihn ist Kunst ganz klar ein politisches Mittel.

„Das Volk interessiert sich nicht für Politik, aber das Paradox ist, die Kunst erreicht alle. Warum will ich trotzdem in diesem Land leben? Weil meine Kunst eine Waffe ist. Der einzige Unterschied der Kunst zum Terrorismus ist, dass dieser menschliche Opfer fordert. Ich greife das Hirn an.“

Ibragimow gibt zu, sich auf das Spiel der Mächtigen einzulassen. Seine Gemälde kosten mehrere Tausend Dollar. Er verkauft sie vor allem an kasachische Oligarchen. Mit seinen Provokationen steigert er seinen Marktwert nur noch. Auch für den heutigen Wahlsonntag hat er schon wieder ein Spektakel parat. Vier Schafe mit den Namen der vier Kandidaten werden in einem Wettbewerb gegeneinander antreten. Der Sieger wird geschlachtet.