«Wenn es wieder einen Eisernen Vorhang gibt, dann wollen wir nicht dahinter sein.» Das hat der kasachische Vizeaussenminister Roman Vassilenko in einem Interview mit der deutschen Tageszeitung «Die Welt» gesagt. Dabei hat er sich auf den Krieg in der Ukraine bezogen. Kasachstan befürchtet, indirekt in den Konflikt hineingezogen zu werden. Über die Position von Kasachstan, das wirtschaftlich, politisch und historisch eng mit Russland verbunden ist, spricht die Journalistin Edda Schlager. Sie lebt in Kasachstan.
SRF News: Sie kennen Vizeaussenminister Vassilenko persönlich. Seine Aussage könnte man als eine mögliche Abwendung von Russland interpretieren. Wie ernst ist das gemeint?
Edda Schlager: Ich habe nochmals mit Vassilenko gesprochen, um nachzufragen, wie er das gemeint hat. Kasachstan will Multi-Sektor-Politik aufrechterhalten. Das heisst, man wendet sich nicht lautstark von Russland ab. Das sei geografisch, politisch und wirtschaftlich gar nicht möglich, sagt Vassilenko. Die beiden Länder verbindet eine 7500 Kilometer lange Grenze. Kasachstan arbeitet mit vielen Partnern auf Augenhöhe zusammen, dazu gehören Russland, China und auf jeden Fall auch Europa und die USA. Es besteht ein Interesse daran, dass der Eiserne Vorhang gar nicht wieder fällt, das ist Vassilenko sehr wichtig. Kasachstan ist in grosser Sorge angesichts des Ukrainekriegs.
Das jetzige Staatsoberhaupt Kasachstans, Qassym-Schomart Toqajew, konnte Proteste im Land nur niederringen, weil Russland ihn unterstützt hat. Wie riskant wäre es, sich von Russland abzuwenden?
Im Januar gab es schwere Unruhen, die der kasachische Präsident nur mithilfe eines von Russland geführten Militärbündnisses niederringen konnte. Man könnte daraus eine gewisse Schuld gegenüber Russland ableiten und dass Kasachstan gewissermassen als Vasall hinter Russland stehen müsse. Doch die kasachische Regierung sieht dies nicht so.
Putin selbst hat Kasachstan die Staatlichkeit abgesprochen. Es scheint ein ähnliches Muster zu sein wie vor dem Ukraine-Krieg.
Man sagt, es gebe keine Schuld. Auf der anderen Seite gibt es immer wieder diffizil formulierte Gebietsansprüche Russlands gegenüber Kasachstan. Aufgrund der sehr langen Grenze befürchtet man, dass Russland leicht einfallen könnte. Putin selbst hat 2014, als der Konflikt in der Ukraine eskalierte, Kasachstan die Staatlichkeit abgesprochen. Es scheint ein ähnliches Muster zu sein wie bei der Ukraine vor dem Krieg.
Wenn die Regierung die kasachischen Hilfslieferungen an die Ukraine hätte unterbinden wollen, hätte sie das tun können. Aber sie liess sie zu.
Wie steht die Bevölkerung zum Krieg in der Ukraine?
Es ist überraschend, wie massiv in Kasachstan die Ukraine unterstützt wird. In Almaty sind kürzlich 1500 oder 2000 Menschen für die Ukraine auf die Strasse gegangen. Es gibt viele Hilfslieferungen, die auf privater Ebene organisiert wurden. Wenn die Regierung dies hätte unterbinden wollen, hätte sie das tun können. Aber sie liess es zu.
Zusammengefasst: Für die kasachische Regierung ist es ein Balanceakt. Sie will die Stimmung in der Bevölkerung aufnehmen, aber Russland nicht direkt brüskieren. Wie gut funktioniert das?
Überraschend gut. Ich hätte nicht gedacht, dass Kasachstan sich doch so deutlich neutral hält.
Man hofft darauf, dass dies sozusagen ein Fenster in der Weltpolitik ist, um sich etwas von Russland zu emanzipieren.
Kann der Konflikt zwischen Russland und dem Westen allenfalls auch eine Chance für das Land sein?
Ja, man hofft darauf, dass das sozusagen ein Fenster in der Weltpolitik ist, um sich etwas von Russland zu emanzipieren. Auch Usbekistan positioniert sich ähnlich wie Kasachstan, vielleicht ermutigt man sich gegenseitig.
Das Gespräch führte Isabelle Maissen.
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