Afghanistan: Wiederaufbau in kleinen Schritten

von © Deutschlandradio Kultur, Weltzeit, 05.09.2007, 18 min

Obwohl sich die Sicherheitssituation für Ausländer in Afghanistan immer weiter verschärft, sind nach wie vor viele Entwicklungshelfer vor Ort. Im Nordosten des Landes, in dem die Bundeswehr das ISAF-Kommando hat, können sie noch relativ unbehelligt arbeiten, denn der Krieg zwischen Taliban, NATO, afghanischer Armee und der vom US-Militär geführten Operation Enduring Freedom findet hunderte Kilometer weiter südlich statt.

Anders als in Deutschland wahrgenommen, ist der Alltag in den Nordprovinzen Takhar, Badakhshan und Kunduz nicht von einer ständigen Reflexion zur Sicherheitslage geprägt, sondern von der mühevollen Wiederaufbauarbeit – durch Afghanen und Entwicklungshelfer. Das langfristige Planen haben viele Afghanen, die seit dreißig Jahren nichts als Krieg kennen, verlernt. Doch Dorfentwicklung braucht den Ausblick in die Zukunft.

In der Provinz Takhar lernen Dorfbewohner mit der Hilfe deutscher Entwicklungshelfer von der GTZ, der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, möglichst viele Lebensbereiche gleichzeitig zu entwickeln. Ein Blick auf eine für alle Beteiligten schwierige Aufgabe und den Wiederaufbau in kleinen Schritten.

Eine Straße in der Provinz Takhar, im Nordosten Afghanistans. Bauarbeiter laufen mit Schaufeln und Schubkarren hin und her. Ein Kompressor lärmt. – Rücken an Rücken sitzen zwei Männer auf dem Boden. Der eine hat die Beine gegen einen meterhohen Kalksteinbrocken gestemmt und drückt mit aller Kraft dagegen, der andere stützt seinen Kollegen. Der Kalksteinbrocken bewegt sich nicht. Ein paar Männer helfen mit Stangen nach. Und dann, endlich, der Brocken ruckt. Einer macht sich mit einem Hammer daran, den Felsen zu zerhauen, bis auf Schottergröße. Die Männer schwitzen, sind mit weißem Staub bedeckt. 35 Grad im Schatten und alles Handarbeit – Straßenbau auf afghanisch.

Abdullah Ajisaid – 60 Jahre, mit langem weißen Bart und einer flachen Filzmütze auf dem Kopf – steht daneben und sieht zufrieden aus. Ajisaid ist der Bauleiter des 15-köpfigen Trupps.

Bisher war diese Straße – die einzige Verbindung zwischen der Distrikthauptstadt Warsaj und 25 Gemeinden auf dem Südufer des Warsaj-Flusses – nichts weiter als ein breiter Eselspfad, der sich hoch in die Berge windet. Für Autos kaum passierbar, und jedes Jahr wurde sie auf’s Neue durch Steinschläge und Schlammlawinen zerstört.

Das soll sich jetzt ändern. Dank des deutschen Wiederaufbau-Programms in Afghanistan wird sie verbreitert und befestigt. In den drei nordöstlichen Provinzen, in Kunduz, Badakhshan und hier in Takhar, sind die Deutschen besonders präsent. Hier hat die Bundeswehr das ISAF-Kommando. Deshalb ist ein Großteil der deutschen Entwicklungshelfer hier im Einsatz. So wie das Team der Entwicklungsorientierten Nothilfe der GTZ, der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit. Das EON-Team der GTZ hat Warsaj zu einem Schwerpunkt-Distrikt seiner Arbeit gemacht. Projektleiter Daniel Passon:

„Der Distrikt ist ausgewählt worden nach Armutskriterien, ethnischen Kriterien. Was wir machen in diesem Distrikt ist, wir fahren einen Backbone-Ansatz. Und das heißt, wir fördern ein Projekt, wo die Leute, möglichst viele Gemeinden, daran partizipieren. Und dadurch wird ein Vertrauensverhältnis geschaffen, die werden an eine Art Entwicklungsansatz herangeführt.”

Warsaj ist der südlichste Distrikt der Provinz Takhar, eine so genannte „Remote area”, weit abgelegen von Kunduz und Faisabad, den beiden größten Städten im nordöstlichen Afghanistan – und weitaus rückständiger. Weder die Russen noch die Taliban sind jemals in dieses Tal am Nordrand des Hindukusch vorgedrungen. Hier lag eines der Rückzugsgebiete der Mudschaheddin zu Zeiten des russisch-afghanischen Krieges. Ahmed Schah Massud, der letzte Mudschaheddin-Führer, der bei einem Attentat im Jahr 2001 ums Leben kam, wird hier als Volksheld verehrt. Er habe den Mohnanbau verboten, erzählt Bauleiter Ajisaid, und stattdessen Straßen und Schulen gebaut.

„Ich war unter Ahmed Schah Massud nur ein kleiner Kommandeur. Als wir hier Probleme mit den schlechten Wegen zwischen den Dörfern hatten, hat mich Ahmed Schah Massud vom Dschihad frei gestellt und mir gesagt, „Du bist jetzt für den Straßenbau zuständig”, damit die Mudschaheddin ihre Waffen und anderes Material hierher schaffen konnten. Wir haben auch andere Straßen in die Nachbarprovinzen gebaut, nach Badakhshan im Norden oder ins Panshee Tal.”

Aus Ajisaids Mund hört es sich an, als setze die GTZ heute nur fort, was Ahmed Schah Massud begonnen hat – die Entwicklung einer Region, in der die Menschen noch vor wenigen Jahren wie im Mittelalter lebten. Für die Deutschen ist das manchmal befremdlich. Doch Ajisaid, der Gotteskrieger im Ruhestand, ist ein offener, zuverlässiger Mann, einer der Dorfältesten und respektiert. Auf sein Einverständnis, ob die Straße in Warsaj ausgebaut werden soll, war auch die GTZ angewiesen. Eberhard Halbach, Chef des GTZ-Teams in Nordost-Afghanistan.

„Es gibt in islamischen Ländern ein eigenstrukturiertes Führungspersonal und eine Struktur, die sicherstellt, dass bei einer Rechtsstaatlichkeit, die viel zu weit entfernt ist, eigene Rechtsstrukturen in den Dörfern funktionieren. Wenn wir in ein Dorf gehen, mit dem Dorf zusammen arbeiten wollen, wenden wir uns zunächst an die Führungspersönlichkeiten und versuchen, die von unseren Zielsetzungen und unseren Entwicklungsideen zu überzeugen.”

Die Entwicklungsidee der GTZ in dieser Region ist, die verschiedenen Lebensbereiche aufeinander abgestimmt zu fördern. Schulen, Straßen, Krankenhäuser, Gemeindeverwaltung – alles muss möglichst gleichzeitig und vor allem nachhaltig aufgebaut werden. Denn eines Tages sollen die Afghanen nicht mehr auf die Hilfe von außen angewiesen sein und die Verantwortung für ihre Dörfer selbst übernehmen.

Auch bei Ajisaid, dem Bauleiter und Ex-Mudschaheddin, ist diese Einsicht längst angekommen:

„Als Ahmed Schah Massud umgebracht wurde, waren die Leute sehr aufgebracht und haben selbst gegen die Taliban weitergekämpft. Als dann die Amerikaner kamen, um gegen die Taliban zu kämpfen, und eine neue Regierung in Kabul eingesetzt wurde, waren wir sehr glücklich. Alles was wir wollen ist, unser Land selbst wiederaufzubauen.”

Der Wiederaufbau Afghanistans – das ist der eigentliche Grund, weshalb auch Deutschland im Land am Hindukusch noch immer präsent ist. Und in Warsaj, weit weg von Taliban, Selbstmordanschlägen oder der vom US-Militär geführten Operation Enduring Freedom, geht der Wiederaufbau voran, sehr langsam und in kleinen Schritten.

Auch im Dorf Mokhow Bala wird gebaut. Nur einen Kilometer oberhalb der Baustelle von Ajisaid, direkt neben einem sprudelnden Bergbach, entsteht eine neue Schule.

Noch steht nur das Fundament, doch wenn alles klappt, beginnt der Unterricht im neuen Schuljahr. Mokhow Bala hat zwar bereits eine Schule, aber die sei für 400 Kinder viel zu klein, erklärt Atikullah Maulhawi. Der 31jährige ist Chef auf der Baustelle und weiß auch über die alte Schule Bescheid – er ist der Direktor.

„Einen Bauleiter können wir nicht bezahlen, so habe ich das übernommen. Ich bekomme kein Geld. Deshalb unterrichte ich morgens in der alten Schule, kläre mit den anderen Lehrern den Tagesablauf. Danach komme ich auf die Baustelle.”

16.000 Dollar wird die neue Schule kosten. Wie der Straßenbau nebenan wird auch sie von der GTZ finanziert. Die Ingenieure der GTZ schauen regelmäßig vorbei, um die ungelernten Bauarbeiter anzuleiten. Den Antrag auf den Schulneubau hatte der Ältestenrat von Mokhow Bala, die so genannte Schura, selbst gestellt. Ein Gremium aus Distriktverwaltung und GTZ hatte daraufhin über die Vergabe der Mittel entschieden. – Dass die Dorfbewohner sowohl die Planung als auch die Umsetzung von Projekten selbst übernehmen, sei einer der wichtigsten Punkte der Entwicklungsarbeit und Voraussetzung für die Zusammenarbeit mit den Gemeinden, so Daniel Passon. Mehr als 250 Einzelprojekte hat die GTZ in den vergangenen drei Jahren auf diese Weise in den drei Nordprovinzen Afghanistans umgesetzt.

„Der wichtigste Aspekt ist für uns neben der eigentlichen Aktivität, dass die Menschen das Verfahren kennen lernen – transparenter Antrag, transparente Vergabe, selbstständige Umsetzung, mit technischer Beratung natürlich. Es ergeben sich transparente Entscheidungsprozesse, was dann auch für die Afghanen klar wird, wer hat da was bekommen, und man kann eben nachfragen, warum haben die das bekommen. Dann müssen die entsprechenden Menschen Rede und Antwort stehen.”

Dass Schulen – für Mädchen und Jungen – dringend notwendig sind, ist für die Bewohner von Warsaj keine Frage. Bis vor sieben Jahren hatte es hier gar keine Schule gegeben, erzählt Direktor Maulhawi. Schule, das heißt Perspektive – zumindest für die Kinder. Doch Maulhawi befürchtet, dass die Männer aus dem Dorf, die jetzt auf dem Bau beschäftigt sind, bald wieder arbeitslos sein werden.

„Ich denke, unseren Kindern wird es besser gehen. Aber zur Zeit sind die Leute hier noch arbeitslos, sie haben ein niedriges Einkommen, weil sie keine Ausbildung haben. Viele sitzen zu Hause und wissen nicht, was sie machen sollen. – Ja, wir bauen eine Schule – aber sie ist bald fertig, so wie die neue Straße auch. Dann werden die Leute wieder arbeitslos sein. Die NGOs oder die afghanische Regierung sollten Langzeit-Programme anbieten, um den Menschen hier auch langfristig Arbeitsplätze zu schaffen.”

Ein paar Kilometer von Mokhow Bala entfernt, im Dorf Mullhanazmi, lernen die Kinder schon in einer neuen Schule. Die wurde vor zwei Jahren von der GTZ und der Aga-Khan-Foundation gebaut. Heute unterrichtet Lehrer Mohammed Ali Mathematik in einer 5. Klasse, die Kinder sind zwölf und 13 Jahre alt. Neun Mädchen und zehn Jungen sitzen in einem hellen Klassenraum, links die Mädchen mit ihren bunten Kopftüchern, rechts die Jungs.

Die Klasse übt Dezimalzahlen – was bedeuten Zehner-, Hunderter- oder Tausender-Stellen? Der Lehrer erklärt an der Tafel, die Kinder wiederholen. Weil Donnerstag ist – ein Tag vor dem islamischen Wochenende, das am Freitag beginnt – ist nur die Hälfte der Klasse da. Die anderen Kinder helfen den Eltern bei der Feldarbeit, beim Wasserholen oder Viehhüten, hatte Lehrer Ali vorher erklärt. Hausaufgaben werden trotzdem kontrolliert. Wer sie vergessen hat, muss mit einem Rüffel rechnen.

Auch hier in der Schule in Mullhanazmi sind fast alle Lehrer männlich. Eine einzige Frau hätten sie an der Schule, berichtet der Direktor, dagegen ein halbes Dutzend Lehrer.


„Ich würde gerne mehr Lehrerinnen einstellen,” sagt er, „denn Frauen können besser unterrichten. Aber es gibt keine Lehrerinnen. Bei uns in der Region sind schon die Männer kaum ausgebildet – wie sollen es da die Frauen sein?”

Sein Amtskollege aus dem Dorf Mokhow Bala sieht das gleiche Problem – gut ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer seien Mangelware.

„Wir hatten hier gar keine Lehrer, weil es lange keine Schule gab,” erzählt Direktor Maulhawi. Niemand, der studiert hat, wolle hierher kommen. Lehrer verdienen in Warsaj 3.000 Afghani, das sind etwa 50 Euro. Davon kann man keine Familie ernähren.

Einer, der nach dem Studium doch nach Warsaj zurückgekommen ist, ist Adil Said. Der 32jährige ist Tierarzt und leitet die Tierklinik in der Distrikthauptstadt.

An diesem Morgen, Punkt neun, steht er auf dem Hof der Tierklinik. Direkt daneben rauscht der Warsaj-Fluss. Der erste Patient, den Said behandeln soll, wartet schon mit seinem Besitzer – eine winzige Kuh mit struppigem Fell, die sich ohne Widerstand an einem Gatter festbinden lässt.

Said untersucht die Kuh, hört sie mit einem Stethoskop ab, misst die Temperatur, zupft ein paar Büschel Fell aus. Schließlich seine Diagnose: Die Kuh hat Haut-Parasiten. Der Tierarzt verordnet eine Fell-Reinigung mit heißem Wasser, die sich den ganzen Vormittag hinziehen wird, und Medizin zum Einreiben.

Warum hat der Tierarzt so viel in sein Studium in Kabul investiert, um dann nach Warsaj zurückzukehren? Said, eine Nike-Strickmütze auf dem Kopf, die so gar nicht hier her passen will, antwortet lächelnd:

„Ich hab über die Gesundheit der Leute hier nachgedacht. Weil mir klar war, dass auch vom Zustand der Haustiere das Leben der Menschen abhängt, bin ich Tierarzt geworden – und weil ich etwas für die Gesellschaft tun wollte. Als Tierarzt kann man das sehr gut, gerade hier. Zurückgekommen bin ich letztlich aber, weil meine Eltern das wollten.”

Said erzählt, wie erst vor wenigen Monaten in Warsaj mehr als 120 Menschen an Brucellose gestorben sind. Die Krankheit wird bei mangelnder Hygiene durch Rinder, Schafe, Ziegen und deren Milch übertragen. Nach der Brucellose-Epidemie habe Said Männer aus den Dorfräten und Frauen mobilisiert und ihnen die Grundregeln der Hygiene im Umgang mit Haustieren erklärt. Sie seien dann in die Dörfer gegangen und hätten die Informationen weitergegeben.

Dass Said in die Aufklärungskampagne Frauen einbezogen hat, war für ihn, den Akademiker, selbstverständlich. Doch nach wie vor existieren in Afghanistan Parallelgesellschaften von Männern und Frauen.

„Wir müssen sehen und beachten, dass die Frau in dieser islamischen Gesellschaft in der Familienhierarchie eine ganz spezifische Stellung hat. Sie ist nicht so ohne Macht, wie das vielleicht nach außen hin aussieht. Nach innen hin ist die Unterdrückung nicht vorhanden. und ich glaube, dass eben hier immer wieder dann, wenn es darum geht, Verantwortung zu übernehmen, Frauen bereit sind, dieses zu tun und dann auch rauszukommen aus ihrer Familiensituation, aus ihrem Unterdrücktsein, und Verantwortung in der Dorfentwicklung mit zu übernehmen.”

In einem Nachbarort von Warsaj, ein paar Kilometer das Tal hinab, in Farkhar, hat die GTZ deshalb ein Projekt nur für Frauen initiiert.

Im Garten von Gulbegin, einer 50jährigen Witwe, stehen vier Bienenkästen. Gulbegin hat sich eine Imkerhaube aufgesetzt und stellt sich furchtlos vor den Kästen in Pose.

Sie ist eine von 30 Frauen in Farkhar und Warsaj, denen von der GTZ kostenlos Bienenvölker zur Verfügung gestellt wurden. Durch mehrere Workshops im Abstand von einigen Wochen lernen die Frauen über’s Jahr, Honig herzustellen. In diesem Sommer werden sie erstmals selbst ernten. Das Geld aus dem Verkauf dürfen sie behalten und erlangen so ein eigenes Einkommen.

Bei der Umsetzung des Projekts hat die Frauen-Schura von Farkhar entscheidend geholfen – das Pendant zum traditionell nur aus Männern bestehenden Ältestenrat. In vielen Dörfern Afghanistans haben sich in den letzten Jahren Frauen-Räte zusammengeschlossen, die sich speziell um die Belange von Frauen kümmern. n Farkhar wird die Frauen-Schura von Amina Fahoi geleitet.

„Der gesamte Frauen-Rat unseres Dorfes hat die Entscheidung getroffen, welche Frauen an dem Bienen-Projekt teilnehmen dürfen. Wir haben die ärmsten Frauen ausgewählt, und die haben zu Beginn des Jahres die Bienen bekommen und mit der Arbeit begonnen.”

Eberhard Halbach von der GTZ ist überzeugt, dass Projekte speziell für Frauen Einfluss auf die gesamte Entwicklung in den Dörfern haben.

„Von unserer Seite werden die ganz bewusst gefördert, weil das die einzige Möglichkeit ist für Frauen, zusätzlich, außerhalb der Autorität und des Einkommens des Mannes eigene Gelder zu verdienen, mit denen dann wieder eigene Kräfte erzeugt werden können, die zum Entwicklungsprozess insgesamt einen Beitrag leisten.”

Auch die afghanischen Behörden sind von dem Konzept der deutschen Entwicklungshelfer angetan. Breit gefächert, aber räumlich konzentriert zahlreiche kleine Projekte zu ermöglichen, bei deren Umsetzung die Dorfbewohner entscheidend mitwirken, das hält auch Ingenieur Tahir für richtig. Der Bauingenieur arbeitet bei der Provinzregierung von Takhar, er ist der Direktor des Departments für ländlichen Wiederaufbau und Entwicklung .

„Was ich für wichtig halte – die Leute tun selbst die Arbeit, wenn ein Projekt umgesetzt wird, zwar mit der Hilfe der GTZ und mit unserem Department. Aber sie arbeiten für sich selbst und sehen – das gehört uns. Das ist ganz wichtig für den Erhalt von Trinkwasser-Anlagen, Schulen oder Hochwasser-Schutz-Dämmen. Die Dorfbewohner fühlen sich selbst verantwortlich für das, was sie erarbeitet haben.”

Dass Eigenverantwortung in Afghanistan nicht selbstverständlich ist, haben auch die deutschen Entwicklungshelfer erkannt. Nach 30 Jahren Krieg könne man den Afghanen aber nicht zum Vorwurf machen, Zukunftsplanung in gewisser Weise verlernt zu haben.

Eine mögliche Erfolgsbilanz fällt deshalb bescheiden aus:

„Also für uns sind Erfolge diejenigen Dinge, die die Dörfler veranlassen, über ihre bestehenden Maßnahmen hinaus weiterzudenken, weiterzuarbeiten an ihrer eigenen Dorfentwicklung, an der Entwicklung eines Tals, bei dem alle abhängig sind von der Straße, von den Brücken, von dem Fluss, der in dem Tal fließt, mit dem man eben leben muss. Und da wär für uns der Erfolg, wenn die Gemeinden lernen, sich zu größeren Gruppen von Dörfern zusammenzuschließen, um sicherzustellen, dass das Stück Straße, das durch ihre Dorfgemeinschaft durchgeht, auch im nächsten Jahr, wenn Felsbrocken runtergefallen sind, wieder sauber gemacht wird, dass die Straße befahrbar ist.”

Letztlich hängt auch in Afghanistan der Fortschritt von einzelnen Menschen ab, solchen wie Amina Fahoi, die Schura-Vorsitzende aus Farkhar. Sie hat sich ein neues Projekt vorgenommen, ganz unabhängig von ausländischen Entwicklungshelfern. Fahoi will nichts weiter, als eine kleine Revolution, zumindest in Farkhar.

„Die jungen Leute heiraten kaum noch, weil sich das Brautgeld niemand leisten kann.”

In Afghanistan muss der Bräutigam den Eltern seiner Braut eine Ablösesumme zahlen. Bis zu 6.000 Dollar sind das in Farkhar. „So viel verdient hier niemand”, sagt Fahoi.

Die Frauen-Schura hat deshalb beschlossen, den Brautpreis zu senken, maximal tausend Dollar sollen es künftig sein. Natürlich gibt es Widerstand im Dorf. Einer jedoch ist von der Notwendigkeit des Umbruchs schon überzeugt, der Mullah der größten Moschee in Farkhar. Er kennt die jungen Männer und weiß, viele wollen heiraten und können nicht, aus Geldmangel. Er wolle den niedrigeren Brautpreis offiziell bei der Provinzverwaltung bestätigen lassen, sagt der Mullah. Mit einem Stempel wäre der Beschluss amtlich und im Dorf anerkannt. – Erste Schritte der Emanzipation in Afghanistan.