Zwangsarbeit bei Baumwoll-Ernte in Usbekistan: Weltbank und ILO in der Kritik

von © Deutschlandfunk, 04.03.2017, 5.30 min, Edda Schlager

Wenn sich die 21-jährige Usbekin Umida Kulieva an den 29. September des vergangenen Jahres erinnert, kann sie dies nur unter Tränen tun. Eigentlich hatte es der schönste Tag ihres bisherigen Lebens werden sollen – tatsächlich erlebte Umida einen Albtraum. Ihr an diesem Tag geborenes erstes Kind, ein kleines Mädchen, starb.

Mein Name ist Kulieva, Umida – mein Kind ist kürzlich gestorben. Bei den Untersuchungen während der Schwangerschaft war immer alles okay. Der Schmerz wäre kleiner, wenn gesundheitliche Probleme der Grund wären. Aber mit medizinischer Hilfe bei der Geburt würde mein Kind heute noch leben.Wir haben so um Hilfe gebettelt, ich hatte zwei Tage lang furchtbare Schmerzen, und niemand hat geholfen.

Als die junge Frau mit Wehen ins Krankenhaus der Kreisstadt Guzar im Süden Usbekistans eingeliefert worden war, hatte sie dort zwei Tage mit größten Schmerzen, ohne jegliche medizinische Versorgung gelegen, bevor ein Arzt sie von dem Kind entband.

Es war tot. Im Mutterleib erstickt, so ein Kinderarzt. Für die Familie von Umida ist klar, warum das kleine Mädchen nicht überlebt hat: Ärzte und Hebammen hätten sich nicht um die junge Frau kümmern können, weil sie zu dieser Zeit Baumwolle pflücken mussten.

Tatsächlich werden in Usbekistan jedes Jahr im Herbst Ärzte, Lehrer, Angestellte von Behörden, Studenten, Schüler oder Hausfrauen wochenlang zur Baumwollernte verpflichtet. Universitäten, Schulen, Krankenhäuser schließen oder arbeiten nur im Notbetrieb, so wie in Guzar.

Was den Tod von Umidas Tochter tatsächlich verursacht hat, wurde nie offiziell untersucht. Doch der Leiter der Ärztekammer von Guzar, Normahmat Kalonov, gab Reportern vom usbekischen Radio Ozodlik kurz nach dem Vorfall ein Interview per Telefon.

Es seien doch genügend Fachärzte im Krankenhaus geblieben, so Kalonov. Selbst sei er aber leider gerade für ein paar Tage Baumwolle pflücken, rund 70 Kilometer entfernt. – Baumwolle, das ist in Usbekistan ein hoch politisches Thema – sie ist das wichtigste Exportgut. Mindestens eine Milliarde US-Dollar jährlich verdient der usbekische Staat daran – indem er rund drei Millionen Usbeken pro Saison für sich arbeiten lässt, nahezu kostenlos und unter Zwang.

Seit Jahren kritisiert Umida Niyazova vom Deutsch-Usbekischen Forum für Menschenrechte die systematische Ausbeutung durch das autoritäre usbekische Regime. Doch jetzt richtet sich ihre Kritik auch gegen die Weltbank und die Internationale Arbeitsorganisation ILO. Beide Organisationen wollen die Lebens- und Arbeitsbedingungen in Usbekistan verbessern – die Weltbank durch Investitionen, die ILO durch gemeinsame Projekte mit der Regierung, beispielsweise,um Standards für Arbeitsschutz gesetzlich zu verankern.

Im vergangenen Jahr nun evaluierte die ILO für die Weltbank deren Projekte in Usbekistan. Das Ergebnis: Ja, es gäbe das Risiko von Zwangsarbeit, allerdings habe man in den geprüften Projekten keine Anzeichen dafür gefunden, so die ILO. Niyazova bezweifelt die Unabhängigkeit der Studie.

Ermöglicht der usbekische Staat tatsächlich ein unabhängiges Monitoring, wenn bekannt ist, dass er selbst massenhaft und systematisch Zwangsarbeit organisiert? Oder tut man einfach nur so, als ob das ein unabhängiges Monitoring der ILO sei und verschleiert den Fakt der Zwangsarbeit?

Die Interviews der ILO mit Baumwollpflückern seien nicht vertraulich gewesen, so Niyazova, denn stets seien Vertreter usbekischer Behörden anwesend gewesen. Niemand werde in solch einer Situation Zwang einräumen, wenn ihm noch kurz zuvor – ohne ILO-Vertreter – gedroht worden sei, Arbeit oder Studienplatz zu verlieren. – Doch die Menschenrechtlerin sieht ein noch größeres Problem darin, dass die ILO aufgrund ihrer Verpflichtung, mit der usbekischen Regierung zu kooperieren, ohnehin gar nicht geeignet sei, Weltbank-Projekte unabhängig zu beurteilen.– Beate Andrees, Referatsleiterin für Arbeitsrechte bei der ILO in Genf, findet diese Vorwürfe nicht gerechtfertigt:

Also wir haben immer gesagt, dass wir kein Monitoring durchführen können gegen den Willen der Regierung. Das Entscheidende ist aber, dass wir die Zustimmung der Regierung bekommen haben, dieses Monitoring zu machen, weil die Regierung selbst daran interessiert ist, die Situation zu verbessern.

Die Krux in autoritären Staaten wie Usbekistan: Schnell könnte die Regierung dieses Interesse auch wieder verlieren. Der Balance-Akt für ILO und Weltbank zwischen Kooperation und einem möglichen Rauswurf ist also schwierig. Die langsamen, aber messbaren bisherigen Fortschritte könnten schnell umsonst gewesen sein.

Die generellen Bemühungen von ILO und Weltbank, die Landwirtschaft zu modernisieren und damit langfristig die Zwangsarbeit in Usbekistan abzuschaffen, erkennt auch Menschenrechtlerin Niyazova durchaus an. Beide Organisationen hätten mit geholfen, Kinderarbeit bei der Baumwollernte in den letzten Jahren zu reduzieren, wenn auch nicht komplett zu beenden. Dennoch fehlt ihr angesichts der jüngsten Aktivitäten die Aufrichtigkeit.

Die Weltbank will ihre Investitionen unbedingt fortsetzen. Wenn sie zugeben würden, dass es Probleme mit Zwangsarbeit gibt, wären radikale Schritte notwendig, dann müssten die Investitionen gestoppt werden.

Die Investitionen der Weltbank in Usbekistan betragen bislang 1,9 Milliarden US-Dollar. Viel, sehr viel Geld. – Da Korruption und Vetternwirtschaft in Usbekistan systemimmanent sind, dürften nicht alle Weltbank-Gelder – trotz der guten Absicht – tatsächlich in die Entwicklung fließen. – Und dass Weltbank und ILO in Usbekistan durchaus ernste eigene Geschäftsinteressen haben, liegt ebenso auf der Hand. – Schlecht nur, wenn das auf Kosten derer geht, die eigentlich von dem Engagement profitieren sollten.

Deutschlandradio Kultur, Weltzeit, 02.02.2017