Kirgistan: Ernüchterung nach der Revolution

von © DRadio Wissen, Globus, 15.02.2011, 8:00 min

In Kirgistan gehören Revolutionen fast zur Tagesordnung – in keinem anderen Land im ansonsten von autokratischen Despoten beherrschten Zentralasien wurde seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion so oft die Regierung ausgetauscht. Auch im vergangenen Frühjahr waren die Menschen in Kirgistan auf die Straßen gegangen und hatten Ex-Präsident Kurmanbek Bakijew gestürzt. Pogrome im Süden des Landes hatten danach weltweit für Aufmerksamkeit gesorgt, dann wurde es ruhig um Kirgistan. Jetzt zeigt sich, das Land hat sich stabilisiert – doch der Weg zur Demokratie ist schwieriger als gedacht.
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Nach Parlamentswahlen im Oktober und mit einer neuen Regierung, die seit Januar im Amt ist, versucht man jetzt einen Neuanfang, als erste parlamentarische Demokratie in Zentralasien, in der das Parlament erstmals mehr Entscheidungskraft hat als der Präsident.

Viele Kirgisen allerdings sind nach dem Umsturz im letzten Jahr ernüchtert. 70 Prozent der Abgeordneten im neuen Parlament waren auch schon unter Ex-Präsident Bakijew im Amt. Präsidentin Rosa Otunbajewa und Premierminister Almasbek Atambajew, die führenden Köpfe beim Sturz des Ex-Präsidenten, haben kaum Rückhalt in der Bevölkerung und gelten als wenig durchsetzungsfähig.

Dringende Probleme wie das wirtschaftliche Gefälle zwischen dem Norden und dem Süden des Landes, die Differenzen zwischen Kirgisen und der usbekischen Minderheit im Süden und den zunehmenden religiösen Extremismus kann auch die jetzige Regierung offenbar nicht lösen. Dass es auch in diesem Jahr wieder zu Unruhen kommen wird, gilt als wahrscheinlich.

Der Student Bakhromjon Mananow erinnert sich gut an den letzten Sommer, als im Süden Kirgistans die Hölle losbrach. In Osch, 25 Kilometer von seinem Heimatort entfernt, gingen plötzlich Kirgisen und Usbeken aufeinander los, brachten sich gegenseitig um. Der 23jährige erfuhr per Telefon von seinen Freunden, was in Osch los war.

„Sie haben von Schüssen berichtet, fünf Leute seien tot, dann zehn, und die Zahl stieg immer weiter. Am nächsten Tag herrschten extreme Anspannung und Angst. Das schlimmste waren die Mobiltelefone, durch die ein einziges Gerücht ein ganzes Viertel dazu bringen konnte zu fliehen.”

Rund 1.000 Menschen starben damals. 200.000 Usbeken mit kirgisischem Pass waren auf der Flucht, das Land kurz vor einem Bürgerkrieg. Die ethnischen Unruhen waren die Folge eines Regierungswechsels in Kirgistan, denn kurz zuvor war Ex-Präsident Kurmanbek Bakijew gestürzt worden. Die daraufhin gebildete Interimsregierung hatte die Lage Monate lang nicht im Griff.

Doch eine Verfassungsänderung sorgte für eine politische Neuausrichtung: Kirgistan sollte die erste parlamentarische Demokratie im sonst autoritär regierten Zentralasien sein. – Nun, ein halbes Jahr später sind ein neues Parlament und eine legitime Regierung im Amt, Anhänger des Ex-Präsidenten und am Aufstand beteiligte Politiker in einer Koalition vereint.

Darauf hatten die Bewohner Kirgistans seit Monaten gewartet. Doch wie viele andere ist auch Bakhromjon enttäuscht – die ersehnte Stabilität scheint noch immer in weiter Ferne. Die Anhänger von Ex-Präsident Bakijew unterlaufen die Demokratisierung weiterhin durch Vetternwirtschaft, die Regierung vertritt vor allem den progressiven Norden, nicht aber den ärmeren Süden. Und die usbekische Minderheit kritisiert, die Übergriffe im letzten Jahr würden juristisch nicht ausreichend aufgearbeitet. – All dies, so Bakhromjon, sei Zündstoff für erneute Unruhen:

„Die Spannungen in Osch sind nicht behoben und der Staat tut nichts dagegen. Offiziell ist es ruhig, aber andauernd verschwinden Usbeken oder Kirgisen. Und das zeigt, dass beide Seiten verdeckt immer noch Rache aneinander nehmen.”

Bakhromjon selbst ist Usbeke, aber in Kirgistan geboren, hat usbekische und kirgisische Freunde gleichermaßen. Er will in seiner Heimat bleiben, doch er möchte ein demokratisches Kirgistan. Deshalb studiert er Politik in der Hauptstadt Bischkek.

An der OSZE-Akademie – mit internationale Dozenten und in englischer Sprache – macht er seinen Master. Selbst unter den politisch engagierten Studenten brechen die ethnischen Vorbehalte zwischen Usbeken und Kirgisen immer wieder auf. Doch hier lernen die Studenten sich gegenseitig zuzuhören und zu argumentieren. Das ist längst nicht selbstverständlich. Denn an kirgisischen Universitäten wird in der Regel auswendig gelernt. Das kirgisische Bildungssystem ist so schlecht, dass viele junge Kirgisen ihre Heimat verlassen, um im Ausland zu studieren. So wie Asiz Scharschejew. Der 23jährige -eine Brille auf der Nase – sieht aus wie ein Abiturient, war aber schon fünf Jahre in Washington, studierte Wirtschaft. Dort habe er eine andere Sichtweise auf sein Land entwickelt, sagt er:

„Um eine Demokratie aufzubauen, müssen die Leute besser ausgebildet sein – Demokratie ohne Bildung ist keine Demokratie. Und bei uns ist die Bildung auf sehr niedrigem Niveau.”

Als Aziz im vergangenen Jahr nach Kirgistan zurückkehrte, wollte er im Staatsapparat arbeiten, sein Wissen da einbringen, wo es gebraucht würde. Doch niemand wollte ihn haben. Er beschloss, Unternehmer zu werden.  Ideen hat er reichlich – den Abbau von Kohle in Südkirgistan, den Export von Pferdefleisch nach Japan. Doch angefangen hat er als Bauunternehmer, mit dem Kapital von Studienfreunden aus Amerika. Jetzt ist vorerst das Auto sein Büro, hinter dem Lenkrad, auf dem Weg zu seinen Baustellen, erledigt er Geschäftsanrufe. In einem Vorort von Bischkek zeigt Aziz die ersten Einfamilienhäuser, die er gebaut und auch schon verkauft hat:

„Sehen Sie das kleine Haus dort, und das zweite und dritte, diese Häuser sind unser erstes Projekt. Zwei davon sind schon verkauft. Für jeweils etwa 9.000 Dollar. Bau und Grundstück kosten 6.000 Dollar, also verdiene ich 3.000 Dollar mit einem Haus.”

Bei rund 200 Dollar Durchschnittseinkommen in Kirgistan ist das fast ein Vermögen. Aziz will ehrlich zu Wohlstand kommen. Und deshalb ist er sicher, nur ohne Korruption und mit wirtschaftlichen Reformen lässt sich das arme Kirgistan politisch stabilisieren. Schließlich wurde Präsident Bakijew im vergangenen Jahr deshalb gestürzt, weil die Preise für Lebensmittel, Strom und Gas rapide gestiegen waren und weil sich Politiker durch Korruption persönlich bereichert hatten. Doch das, so sagt Aziz enttäuscht, habe sich kaum geändert.

„Mir gefallen Premierminister Atambajew und Präsidentin Rosa Otunbajewa, das sind gute Leute. Aber die Politiker um sie herum, sind nur durch Beziehungen auf ihren Posten, die bringen dem Land nichts gutes. Sie sind gleichzeitig die größten Unternehmer und nutzen ihre Position lediglich, um Geschäfte zu machen.”

Das fehlende Interesse an echten wirtschaftlichen Reformen im Staatsapparat ist es, was auch Seytbek Usmanow antreibt. Mit Freunden hat der hoch aufgeschossene 25jährige vor zwei Jahren das Central Asian Freemarket Institute gegründet – einen Think Tank, der die Liberalisierung der Wirtschaft fördert.

Sie nennen sich die „Reformatoren”, heuern international renommierte Wirtschaftswissenschaftler zu Vorlesungen an, organisieren Fortbildungs-Camps für junge Unternehmer und erarbeiten Reformprogramme für Parlamentsausschüsse. Ob ihre Vorschläge tatsächlich umgesetzt werden, bezweifelt Seytbek selbst:

„Es gibt eine Koalition, mehrere Parteien und eine Regierung – nicht die beste, aber sie arbeitet. Doch das Management ist katastrophal und die wirtschaftliche Situation der Menschen hat sich weiter verschlechtert. Das Volk versteht immer besser, dass diese Leute für radikale Reformen nicht bereit sind.”

Seinen Freunden und Verwandten empfiehlt Seytbek, Kirgistan zu verlassen, die Situation sei zu unsicher – trotz der neuen Regierung und deren Beteuerungen, das Land zu demokratisieren. Er selbst will bleiben, so wie auch Aziz, der Bauunternehmer, und Politik-Student Bakhromjon. Sie gehören zu einer neuen Generation junger Kirgisen, gut ausgebildet, selbstbewusst und ehrgeizig. Sie wollen ihr Geld ehrlich verdienen, ohne sich auf Vetternwirtschaft zu verlassen und das Geschick ihres Landes in die eigenen Hände nehmen. „Wenn wir es nicht machen wer soll es dann tun?”, sagt Seytbek.