Akzente (GTZ), 03-2008 

Kasachstan ist ein Vogelparadies. Doch einheimische Ornithologen sind rar. Der Einsatz für den Naturschutz schafft deshalb auch gleichzeitig Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs im Land.

Einen Feldstecher vor den Augen und das Walkie-Talkie am Mund, so sitzt Maxim Koschkin reglos in seinem Jeep. Hundert Meter vor ihm staksen zwei schwarz-grau-weiße Vögel, etwas kleiner als Hühner, durch die Wermutbüsche.

„Los!“, ruft Koschkin. Kollege Albert Salengarejew rennt auf die Vögel zu. Die schwingen sich in die Luft, flattern aufgeregt und attackieren den Mann, der vorsichtig weitergeht, die Augen auf den Boden gerichtet. Wenige Schritte noch, und er steht vor dem, was die Männer suchen: junge Steppenkiebitze. Die Tiere pressen sich instinktiv an den Boden. Ein paar geschickte Handbewegungen, und sie tragen Ringe.

Seltene Spezies

Auf nur noch 200 Steppenkiebitz-Paare wurde der Bestand der Vogelart noch bis vor Kurzem geschätzt. „Mittlerweile gehen wir jedoch davon aus, dass die Population aus rund 5 000 Vögeln besteht“, sagt Michael Brombacher und fügt hinzu: „Wir wissen einfach zu wenig über diese Vögel.“

Der Biologe berät die Association for the Conservation of Biodiversity of Kazakhstan (ACBK) im Auftrag von CIM, einer Arbeitsgemeinschaft der GTZ und der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung der Bundesagentur für Arbeit. Mit Brombachers Unterstützung wuchs die ACBK in zwei Jahren von zwei auf 14 Mitarbeiter an. Mittlerweile ist sie ein wichtiger Partner für ausländische Organisationen und Wissenschaftler, die in Kasachstan den Naturschutz entwickeln oder forschen wollen.

Maxim Koschkin und Albert Salengarejew sind ebenfalls für die Organisation unterwegs. Ihr vor drei Jahren gestartetes Steppenkiebitz-Projekt ist Teil eines internationalen Flächenschutzprogramms von Bird Life International. Die Organisation weist weltweit Vogelschutzgebiete aus, sogenannte Important Bird Areas.

Nachwuchswissenschaftler sind Mangelware

Als einheimische Nachwuchswissenschaftler gehören Maxim Koschkin und Albert Salengarejew in Kasachstan ebenfalls einer seltenen Spezies an: den Ornithologen. Nur wenige davon gibt es im Land.

„Wir wollten mit den Feldarbeiten starten und stellten plötzlich fest: Da ist niemand, der das Monitoring einer Vogelpopulation beherrscht“, sagt Michael Brombacher. Und das, obwohl Kasachstan für Ornithologen ein Eldorado ist. Zwei Vogelzug-Routen von globaler Bedeutung kreuzen sich hier.

Am Tengiz, einem riesigen Seengebiet mitten in der Steppe, rasten und brüten jährlich mehr als 230 Vogelarten. Die Arbeit in der Steppe erfordert viel Geduld und Idealismus. In der Steppe um Tengiz-Korgalschinsk, rund 150 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Astana, suchen die beiden Männer nun schon seit Wochen nach der seltenen und noch kaum erforschten Vogelart.

Wenig Karrierechancen

Ein weiterer Grund dafür, dass sie in Kasachstan kaum einheimische Berufskollegen haben: Wissenschaft und Naturschutz bieten bisher kaum Karrierechancen. An Forschung oder den Schutz seltener Tierarten war nach dem Ende der Sowjetunion nicht zu denken. Wissenschaftler, die dennoch auf ihrem Gebiet arbeiten wollten, verließen das Land. Das Ausbildungsniveau an den Universitäten sank rapide.

Für Michael Brombacher ist der Fachkräftemangel ein Alarmzeichen. Zwar kommen jedes Jahr ausländische Wissenschaftler nach Kasachstan, um sich unerforschten Spezies zu widmen. „Wichtig ist jedoch, die einheimischen Kräfte für den Natur- und Umweltschutz zu mobilisieren“, sagt Michael Brombacher. Weil Biologen oder Geographen in Kasachstan die Universität ohne Spezialisierung verlassen, entschlossen sich der CIM-Experte und die ACBK, ein spezielles Ausbildungsprogramm für Studenten zu initiieren.

Praxis im Feld

In Sommercamps fördern Wildlife Clubs das Interesse der Studenten an der Ornithologie. Die ACBK bietet außerdem Seminare und Praktika in verschiedenen Projekten an. Praktika, die in Europa fest zur akademischen Ausbildung gehören, sind Neuland im verschulten Uni-System von Kasachstan.

„Selbst in den Naturwissenschaften ist es üblich, reine Literaturrecherchen als Abschlussarbeit abzuliefern“, sagt Albert Salengarejew und ergänzt: „Die Professoren meinen, die Uni sei für die Theorie zuständig, das Praktische käme später im Beruf.“

Der Biologie-Student im dritten Studienjahr ist einer der Ersten, die am Nachwuchs-Förderprogramm der ACBK teilnehmen. Mit zwanzig weiteren Studenten von fünf Universitäten lernte er im vergangenen Jahr die theoretischen Grundlagen der Vogelbeobachtung kennen. Nun ist er bei den Feldarbeiten dabei.

Fachkräfte will man halten

Als vor Jahren die ersten Ausländer in seinem Heimatort Korgalschino auftauchten, um Vögel zu zählen, schloss sich Maxim Koschkin ihnen an. Jahrelang half er als Freiwilliger, bis Michael Brombacher ihm schließlich eine Stelle anbot. „Wir müssen Anreize schaffen, damit die guten Fachkräfte hierbleiben“, sagt der CIM-Experte.

Eine der Hauptaufgaben des Projekts ist es, möglichst viele junge Steppenkiebitze zu beringen. Nur so lässt sich später nachvollziehen, wo die Vögel geschlüpft sind. „Wo die Vögel sonst noch brüten, wissen wir nicht“, sagt Koschkin. Vielleicht im Süden Russlands, vermutet er. Ganz sicher aber auch in weiteren Gebieten in Kasachstan.

Perfekte Bedingungen für Steppenkiebitze

Denn nur hier finden die Steppenkiebitze noch passende Lebensbedingungen: trockene, heiße Sommer, weite, übersichtliche Steppen und eine niedrige Vegetation. Optimal sind die Bedingungen rund um kleine Ansiedlungen. Im Umkreis von wenigen Kilometern sorgt hier das Vieh für kurzes Gras. Ein Muss für die Steppenvögel.

Im Gebiet von Tengiz-Korgalschinsk, in dem Koschkin und sein Kollege arbeiten, gibt es auf einer Fläche von der Größe des Landes Brandenburg nur rund 40 Dörfer. Fast überall haben die Ornithologen Kolonien der Steppenkiebitze registriert. So auch in Aktubek, einem Dorf mit nur 500 Einwohnern. Hier stießen die beiden Männer auf einen Vogelkindergarten: zwei Weibchen und ihre Jungen. Plötzlich auf die Tiere loszurennen, ist übrigens Methode.

Überraschungsmoment nutzen

Im Überraschungsmoment liegt die einzige Chance, an die Jungen heranzukommen. Maxim Koschkin entnimmt seinem Werkzeugkasten derweil ein Lineal, eine Schieblehre und eine Briefwaage. Größe, Fuß- und Schnabellänge sowie das Gewicht der Jungvögel vermisst er damit. Der Anteil von Daunen und Federn gibt Aufschluss übers Alter. Auf zehn Tage schätzt er die Küken, die nun ihre lebenslange Beinmarkierung erhalten: zwei Plastikringe in unterschiedlichen Farben.

Rund 400 Jungvögel kennzeichneten die Ornithologen im vergangenen Jahr auf diese Weise. Trotzdem war’s ein schlechtes Jahr für die Steppenkiebitze, meinen sie. Füchse, Marder, Igel oder Ziesel plünderten die Nester. „Wahrscheinlich gab es zu wenig Mäuse“, vermutet Koschkin. Da holten sich die Räuber halt die Eier der am Boden brütenden Steppenkiebitze. Nur jedes zweite Ei wurde im vergangenen Jahr wohl ausgebrütet.

Chance für Steppenkiebitze – und junge Forscher

Im Jahr zuvor waren es 70 Prozent. Entgegen der üblichen Universität-Praxis wird Albert Salengarejew in diesem Jahr seine Diplomarbeit über das Brutverhalten der Steppenkiebitze schreiben – mit selbst erhobenen Daten. In seiner Heimat in Nordkasachstan leben vermutlich ebenfalls Steppenkiebitze.

„Vielleicht kann ich dort das Projektmonitoring übernehmen“, hofft er. Michael Brombacher und die Vereinigung zum Schutz der Biodiversität hätten dann einen einheimischen Ornithologen mehr für Kasachstan gewonnen.

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