Das Deutsche Theater in Almaty

von © DRadio Wissen, Kultur, 16.12.2010, 9:00 min

Das Deutsche Theater Almaty wurde 1980 für die russlanddeutsche Minderheit in der damaligen Sowjetunion gegründet und feiert jetzt im Dezember sein 30-jähriges Jubiläum. Aber es ist kein reines Freudenfest, denn das Deutsche Theater Almaty, das vor allem in den 90er Jahren sehr erfolgreich war,  kämpft in den letzten Jahren um sein Überleben. Denn russlanddeutsche Schauspieler und auch ihr Publikum haben Kasachstan  gen Deutschland verlassen.

Im Zentrum von Almaty im Süden von Kasachstan, inmitten von zweistöckigen Wohnhäusern mit großzügigen Gärten. Auf einem der Grundstücke steht eine Bauruine, ohne Dach, das Mauerwerk bröckelt. Hunde streunen herum. Der Schauspieler Kubanytschbek Adylow zeigt die Überbleibsel des Deutschen Theaters Almaty.

„Das hier war unsere Bühne, hier das Foyer, und hier die Bühne mit Platz für 90 Zuschauer, so haben wir gearbeitet. Ich habe hier den Macduff gespielt, in Macbeth, den Woyzeck. War das eine Bühne! Schreien musste man nicht, man hat den Zuschauern Auge in Auge gegenüber gestanden.“

Jetzt liegt die einstige Bühne unter Schnee begraben, der in Stufen ansteigende Zuschauerraum erinnert an ein Amphitheater im alten Rom – ein Überbleibsel vergangener, ausgelassener Zeiten. Adylow ist seit sechs Jahren Ensemblemitglied des Deutschen Theaters Almaty, und einer von einer Handvoll Künstlern, die das Theater trotz der verfallenen Spielstätte am Leben halten.

Eine geplante Rekonstruktion vor vier Jahren endete mit einem Korruptionsskandal – das Dach des zu sanierenden Theaters war da schon abgedeckt. Von 87 Millionen Tenge – rund 450.000 Euro – waren vier Fünftel verschwunden, in den Taschen der damaligen Theaterchefin. Die sitzt heute hinter Gittern, das Theater hingegen, seitdem ohne eigene Spielstätte, tingelt über andere Bühnen.

Die meisten Aufführungen finden in deutscher Sprache statt, nur ein Teil auf russisch – das ist einmalig im ganzen Ex-Sowjetraum.

An diesem kalten Dezemberabend, spielt das Theater in einem noch immer sowjetisch anmutenden Kulturhaus, zwei Kilometer Luftlinie vom alten Spielort entfernt.

Das Kulturhaus ist wenig einladend. Zum Saal geht es an einem Lager noch verpackter Klimaanlagen vorbei, der geflieste Boden wurde kurz vorher mit Chlormittel geputzt, ein beißender Geruch umweht die Kartenverkäuferin. Geht es hier wirklich ins Theater? Ja, geht es. Im Saal ist es kalt, die Reihen aus hölzernen Klappstühlen knarren gefährlich. Nur knapp 50 Zuschauer sind heute Abend gekommen – fast die Hälfte wird nach der Pause verschwunden sein.

Die Aufführung allerdings lässt das traurige Ambiente vergessen. „Freiheit”, drei Einakter des polnischen Gegenwarts-Dramatikers Slawomir Mrozhek stehen auf dem Spielplan. Absurde Skizzen in minimalistischer Kulisse, in denen die Hauptfiguren die Grenzen ihrer inneren und äußeren Freiheit erfahren.

Auch wenn die Schauspieler nur mit Akzent deutsch sprechen, wird schnell klar – dies ist kein Laientheater, hier stehen Schauspieler mit Anspruch und Spaß am Spiel. Die meisten Zuschauer verstehen kein Deutsch und nichts vom Bühnentext. Damit auch sie der Handlung folgen können, sitzt Marina Dyachenko hoch über dem Saal im ersten Rang vor einem Mikrofon. Simultan übersetzt sie die Texte der Schauspieler ins Russische – per Kopfhörer kann das russischsprachige Publikum folgen.

Die Übersetzerin wirft hin und wieder einen Blick über die Balkonbrüstung hinweg – und spielt die Rollen regelrecht mit.
„Ich versetze mich in die Lage der Schauspieler. ich habe das Gefühl, dass wir eine gemeinsame Energie haben, ich spüre sie und ihre Emotionen, und ich mach da einfach mit und das kommt irgendwie ganz allein.”

Dyachenko, eine Russin, die 15 Jahre lang in Deutschland lebte, liebt die deutsche Sprache – so wie ihre Kollegen. Ilya Sadykow spielt drei Hauptrollen in Mrozheks Stück „Freiheit”. Der 31jährige ist einer der Erfahrenen im Ensemble, merkt sich auch große, textlastige Rollen, erarbeitet sie Zeile für Zeile. – Auf Deutsch unterhalten kann er sicht nicht. Doch ihn begeistern die dramaturgischen Unschärfen, die die zweisprachige Arbeit mit sich bringt. So wie in „Das Mädchen und der Tod” nach Maxim Gorki – denn im Russischen ist der Tod eine Frau.

„Ich wollte schon lange mal den Tod spielen, aber es hieß immer, geht nicht, das ist eine Frau, und dann sehe ich im Deutschen, der Tod ist männlich, wirklich spannend. Das russische Original von Gorki ist auch irgendwie schlichter, der Zar ist albern, wie im russischen Märchen. Im Deutschen ist das ein König, viel ernsthafter, nicht so kindisch.”

Sadykow bedauert, dass die Existenz des Deutschen Theaters in Almaty in Frage steht. Warum und für wen spielt ihr auf deutsch, heißt es. Denn keiner der rund 20 Künstler des Ensembles hat deutsche Wurzeln. Doch das war einmal anders.

1980 wurden in der ganzen Sowjetunion russlanddeutsche Schauspieler zusammengesucht, in Moskau ausgebildet. Eine Heimat fand das neue Theater schließlich in Kasachstan. Hierhin hatte Stalin im Zweiten Weltkrieg die Wolgadeutschen deportiert, damit sie nicht mit Hitler kooperierten. Allein in Kasachstan lebten in den 80er Jahren rund anderthalb Millionen Deutsche. Lange waren sie als Faschisten verschrien, wagten nicht, offen deutsch zu sprechen. Als 1980 das Deutsche Theater entstand, durften die sich erstmals überhaupt zur Sowjetzeit künstlerisch äußern.

„Das war wohl die beste Zeit der Deutschen hier, sie haben auf der Bühne ihre Alltagsthemen aufgeführt. Das Theater fuhr dorthin, wo die Deutschen lebten, auf die Dörfer. Es zeigte, ja, wir können sagen, was uns bewegt. Das war so eine Euphorie, als das erlaubt wurde – und endete abrupt mit dem Tag, als die Grenzen geöffnet wurden. Und sie alle haben ihre Koffer gepackt und sind gegangen.”

Natascha Dubs hat einen russlanddeutschen Vater, eine russische Mutter – und fühlt sich deutsch. Sie hat während der 90er Jahre als Schauspielerin am Deutschen Theater gearbeitet, die Ausreisewelle der Russlanddeutschen rollte da schon. Das eben unabhängig gewordene Kasachstan ächzte unter wirtschaftlicher Not und Perspektivlosigkeit. Doch gerade in dieser Zeit, so Dubs, sei das Theater ein Zentrum europäischer Kultur in Kasachstan gewesen. Das Auswärtige Amt zahlte große Summen an die kasachische deutsche Minderheit – so konnte man Regisseure aus Deutschland verpflichten, eigene Stoffe entwickeln. Bei Gastspielen in Deutschland wurde das kasachische, deutsche Theater stürmisch gefeiert.

Heute leben noch knapp 200.000 ethnische Deutsche in Kasachstan, für die meisten ist Deutsch aber eine Fremdsprache. So blieb nach und nach auch das deutsche Publikum fern. Und die Förderung aus Deutschland versiegte. Natascha Dubs, die die wilden 90er im Deutsche Theater erlebte, kündigte nach dem Korruptionsskandal vor drei Jahren – enttäuscht von den Leuten, die übernahmen. Den besonderen Zugang zur deutschen Sprache und zum europäischen Theater sieht sie dort heute nicht mehr.

„Es gibt keine gemeinsame Idee mehr. Wir haben noch so gearbeitet, das war pure Leidenschaft, es ging nur so und nicht anders.”

Tatsächlich fehlt dem Deutschen Theater ein Konzept, das die neue Situation annimmt. Doch in Kasachstan gilt Theater generell als untergeordnete Kunstform, die Gesellschaft hat kaum Interesse, wenn überhaupt, wird traditionell gespielt. Das Deutsche Theater ist zudem staatlich finanziert, einen Plan – vier Premieren pro Jahr – und die Ticketpreise legt das Kultur-Ministerium fest. Die Argumente der neuen Chefin Irina Simonowa scheinen zu schwach für den Erhalt des Theaters:

„Wir haben ein koreanisches, uighurisches, russisches, kasachisches und ein deutsches Theater in der Stadt, das ist doch toll. Es ist unwichtig, dass wir eine multiethnische Gruppe sind, weil ganz Kasachstan multiethnisch ist. Und wir wollen dieses Theater erhalten. Gut, die Gründungsmitglieder sind weg. Noch hier sind eben die, die bleiben wollen.”

Simonowa, selbst Regisseurin, fehlt jedoch der Zugang zur deutschen Kultur, zum europäischen Theater überhaupt. Sie verwaltet den Notstand – eine Managerin mit Kontakten und mit künstlerisch anspruchsvollen Ideen ist sie nicht.

Die kasachischen, russischen, kirgisischen Schauspieler aber, die bis heute hier spielen, haben den künstlerischen Konkurs nicht verdient. Sie sind ans Deutsche Theater gekommen, weil es den Ruf hatte, anders zu sein, experimentierfreudig. Dass viele Russlanddeutsche Kasachstan den Rücken gekehrt haben, war nicht der Beschluss der Schauspieler. Die deutsche Sprache ist für sie dennoch ein einzigartiges Vehikel, die Theaterlandschaft in Kasachstan zu modernisieren. Sie wollen spielen.