Ein Interview für die Moskauer Deutsche Zeitung über die Präsidentschaftswahlen in Kasachstan. In Russland wird Kasachstan kaum wahr genommen, die kasachische Politik so gut wie gar nicht. Kasachstan ist seit 20 Jahren ein unabhängiges Land. Unabhängig von der Sowjetunion, der es bis 1991 angehörte, aber abhängig von dem Mann, der seitdem an der Spitze des Staates steht. Anfang April wurde Nursultan Nasarbajew in vorgezogenen Präsidentschaftswahlen mit 95,5 Prozent der Stimmen bis 2016 im Amt bestätigt. Offenbar scheinen ihn die Kasachen für unverzichtbar zu halten. Was es mit diesem Votum auf sich hat, wollte die MDZ von der Journalistin Edda Schlager wissen. Sie lebt in Kasachstans größter Stadt Almaty und berichtet von dort für deutsche Medien über die zentralasiatische Region.

Frau Schlager, hat Sie der Wahlausgang in irgendeiner Form überrascht?

Höchstens in der Höhe. Das Ergebnis für Nasarbajew ist ja sogar noch besser ausgefallen als bei den letzten Wahlen 2005.

 

Westliche Beobachter haben Verstöße bei den Wahlen beanstandet und damit auch die Aussagekraft der offiziellen Zahlen in Frage gestellt. Was meinen Sie, wie groß der Rückhalt für Nasarbajew in der Bevölkerung tatsächlich ist?

Sehr groß, das muss man leider sagen. Kasachstan leidet unter einer Art Post-Perestroika-Trauma. Man hat Angst vor Veränderung. Einer Entwicklung wie im benachbarten Kirgisien werden kaum positive Aspekte abgewonnen. Und mit Nasarbajew verbinden die meisten politische Stabilität.

 

Auch in Russland sehen viele Nasarbajew als gemäßigten Reformer, unter dem Kasachstan die Umbruchjahre nach dem Zerfall der Sowjetunion vergleichsweise erfolgreich gemeistert hat.

Es stimmt, dass er wirtschaftliche Reformen eingeleitet hat, was sehr wichtig war. Aber allein der Fokus Wirtschaft reicht eben nicht. Inzwischen ist Nasarbajew 70 Jahre alt und kann nicht loslassen. Vielleicht hat er irgendwann angefangen, die Hymnen über sich selbst zu glauben.

 

Wie steht denn Kasachstan im Vergleich zu anderen ehemaligen Sowjetrepubliken in Zentralasien heute da?

Vom Lebensgefühl her ist es das dynamischste und weltoffenste Land der Region. Den Leuten geht es natürlich besser als noch vor zehn Jahren. Viele leisten sich zum Beispiel ein Auto, wenn auch zu horrenden Kreditzinsen. Andererseits hat in Kasachstan nicht wirklich Marktwirtschaft, sondern ein Raubtierkapitalismus Einzug gehalten. Man bereichert sich, wo es nur geht. Es ist moralisch nicht verwerflich, andere über den Tisch zu ziehen. Auf der Forbes-Liste der 100 Superreichen dieser Welt finden sich fünf Kasachen. Es gibt extremen Reichtum, der sich in der Hauptstadt Astana und in Almaty manifestiert und auch Ausländer verblüfft. Währenddessen klafft die soziale Schere allerdings immer weiter auseinander.

 

Können sich denn kritische Stimmen im Lande artikulieren?

Sehr aktiv sind die unabhängigen Gewerkschaften. Es wird in Kasachstan auch gestreikt. Aber die Leute bringen ihre eigene Lage und die politische Verantwortung dafür nicht in Zusammenhang. Ich habe einige Vorberichte zu den Wahlen gemacht und mit Menschen vor Ort geredet, etwa im Bergbaugebiet von Schachtinsk, wo relativ häufig Unfälle passieren, oder in einem Dorf, das weggeschwemmt und auf billige Art wieder aufgebaut wurde. Da schildert man die Missstände, man ist unzufrieden und hält damit auch gar nicht hinter dem Berg. Aber im nächsten Atemzug heißt es: Nasarbajew ist ein guter Präsident, er hat viel getan. Das ist unglaublich.

 

Wie erklären Sie sich so etwas?

In Kirgisien existiert eine Zivilgesellschaft, in Kasachstan nicht. Die Leute sind extrem entpolitisiert. Und auch das Bildungsniveau hat erschreckend abgenommen. Die meisten kritischen Medien wurden schon in den 90er Jahren beiseite geräumt. Eine Zeitung wie die „Respublika“ findet einfach keine Druckerei, die sie druckt.

 

Wie ist es um die Opposition bestellt?

Sie ist bis auf wenige Ausnahmen zerschlagen und zerstritten. Die drei Gegenkandidaten bei den Präsidentschaftswahlen waren nur Marionetten. Kritiker sind entweder ausgeschaltet oder ins Exil gegangen. Im Parlament ist heute nur eine Partei — die des Präsidenten — vertreten. Aber das kann sich alles ändern. Die Quintessenz aus meinen Reisen in Zentralasien lautet: Es sind ganz oft Einzelne, die den Unterschied ausmachen, die sich nicht nach anderen richten und die ihre Umgebung beeinflussen.

 

Im vergangenen Jahr hatte Kasachstan den OSZE-Vorsitz inne. Zudem gilt das Land als interessant für westliche Investoren. Was bedeutet das für das Selbstverständnis der Kasachen?

Man möchte gern auf dem Weltparkett mitspielen, was in westlichen Augen mitunter peinlich wirkt, im Lande aber eher den Nationalstolz befeuert. Dort tut man sich schwer damit, realistisch einzuschätzen, wer man wirklich ist. Da wird Präsidentenkult zelebriert, da wird mit Astana eine Retortenstadt hochgezogen, die vor Größenwahn strotzt. Eine eigene Identität zu finden, das ist wichtig und notwendig. Aber viele Erfolge sind mit Geld erkauft, nicht durch Leistung untersetzt.

 

Können Sie all das, was Sie uns jetzt gesagt haben, eigentlich auch den Kasachen sagen?

Ja, das kann ich. Unsere westliche Diskussionskultur unterscheidet sich zwar sehr von der kasachischen, das ist immerhin schon Asien. Aber die Leute wollen wissen, wie ihr Land von Fremden gesehen wird, und mögen es durchaus, wenn jemand kritisch ist. Außerdem werden Deutsche in Kasachstan sehr geschätzt, da habe ich also schon von vornherein einen großen Bonus.